Die Zeit steht still, zumindest meine ich das jetzt manchmal. Ein kleines, stacheliges Ding bremst mich seit einer gefühlten Ewigkeit aus. Corona ist hoffentlich nur eine Zwischenzeit – die Zeit zwischen den echten Zeiten Vergangenheit und Zukunft. Eine Zeit, in der sich mein Radius immens verkleinert. An den Tagen, an denen ich im Homeoffice arbeite, reicht er oft nicht über mein Stadtviertel hinaus. Ein schönes Viertel mit wunderbaren Parks, in denen es sich prima spazieren und die Seele baumeln lässt. Hier kann ich Corona fast vergessen. Doch in letzter Zeit ertappe ich mich manchmal dabei, dass mir die Parks  zu eng erscheinen. Ein grünes Gefängnis, in dem ich im Kreis laufe. Corona hat mir ein Stück meines wertvollsten Gutes geklaut: meine Freiheit. Zu meiner Arbeit im Büro habe ich es auch nicht weit: In nur zehn Fahrradminuten bin ich dort. Und zumindest in einer anderen Welt, wenn auch in einer ungewöhnlich stillen momentan. Die Hochschule ist ein eigener Mikrokosmos und obendrein ein sehr spezieller. Doch wo sonst massenweise Studierende in den Mensen, auf dem Campus und in Treppenhäusern und Seminarräumen zugange sind, trifft man nur vereinzelt ein paar Menschen auf dem Flur. Viele Büros sind ausgestorben.  Manche Kollegen hat man seit Monaten nicht gesehen.

Die Welt ist klein in dieser Zwischenzeit, sie scheint zu schrumpfen. Vielmehr scheint sich die große, bunte Welt wie durch ein unsichtbares Kabel in die virtuelle Welt des World Wide Web gequetscht zu haben. Wer sich dort in Zeiten von Corona nicht bewegen kann, hat schlechte Karten. Die Zwischenzeit Corona ist eine Zeit der jungen und gut Ausgebildeten. In kürzester Zeit hat sich die Hochschule in eine Fernuni verwandelt. Das mag zwar den meisten nicht gefallen, denn Lehren und Studieren lebt vom gegenseitigen Austausch und Gruppenarbeit, doch es klappt erstaunlich gut. Wer vorher schon viel im Internet bestellt hat, macht das noch mehr. Und wer vorher schon einen Großteil der Freizeit in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter und Instagram gepostet und gechattet hat, vermisst vielleicht oft gar nicht so viel. Für alte Menschen ohne Internet und Schwerkranke ist die Welt bis zur Unkenntlichkeit geschrumpft, dürfen sie doch nicht einmal Besuch aus dem engsten Familienkreis empfangen. Da ist oft das Telefon, sofern man noch telefonieren kann, der einzige Draht zur Außenwelt. Ob man eine dermaßen geschrumpfte Welt für die Schwächsten zulassen darf, darüber kann man sicher streiten.

Doch eine geschrumpfte Welt hat auch ihre guten Seiten. Wir besinnen uns auf Familie und enge Freunde. Die Welt ist entschleunigt, Kontakte sind weniger oberflächlich. An der Enge kann man wachsen, in dieser Zeit muss man an sich arbeiten. Denn unzählige, gemeinsame Homeoffice-Stunden kombiniert mit mangelnden Freizeitaktivitäten wie Sport und Ausgehen sind eine Bewährungsprobe für Paarbeziehungen und Familien.  Traditionelles wie gemeinsames Kochen, abendliche Gesellschaftsspiele und Bücher lesen anstatt stupide vor der Glotze zu sitzen hat wieder Konjunktur. Kreativität ist gefragt, um Herz und Hirn Nahrung zu geben. Warum nicht mal zuhause tanzen? Oder sich eine Überraschung für den Partner ausdenken? Warum nicht versuchen, etwas zu schreiben? Kreativität, die umso wertvoller ist, weil sie in schwierigen Zeiten zustande kommt und so umso mehr befriedigt und erfreut. Diese Zwischenzeit wird uns – genau wie die Vergangenheit – auch bereichern. Sie wird mehr polarisieren, wie es alle Extreme tun, und so das Beste und das Schlechteste in jedem von uns zutage fördern. Viele willkommene, überraschend tolle Wahrheiten werden ans Licht kommen genau wie viele unwillkommene, bittere Einsichten. Ich versuche, die Corona-Zeit als eine Art (gefährliches) Abenteuer zu sehen, das ich bestehen muss. Und aus dem ich  wie eine Art Phönix aus der Asche neu entstehen kann.