Mal ganz ehrlich – wann hast du beziehungsweise haben Sie das letzte Mal einen längeren Text mit der Hand geschrieben, zum Beispiel einen Brief? Keine Zeit, wieder den halben Tag vor dem PC gesessen und getippt, geklickt und gescrollt? Und überhaupt, wer schreibt schon noch einen Brief? Oder gar ein Gedicht oder einen Essay, und das auch noch mit der Hand? Richtig, nur wenige Menschen tun das. Doch es ist und bleibt eine gute Idee, öfter mit der Hand zu schreiben. Warum das so ist?
1. Grund: Handschriftlich schreiben bedeutet Wertschätzung
Gerade in der Vorweihnachtszeit bietet es sich an, den Stift zum Briefpapier oder zur Weihnachtskarte zu führen. Denn mit der Hand zu schreiben bedeutet auch Wertschätzung. Welcher gute Freund, welches Familienmitglied oder welcher Stammkunde würde sich nicht über ein paar handschriftliche Zeilen von Ihnen freuen – und sich sicher auch im nächsten Jahr noch daran erinnern, ganz im Gegensatz zum hundertsten Weihnachtsgruß per E-Mail? Oder noch besser: Warum nicht ein kurzes Gedicht verfassen? Kann ich nicht gilt nicht 😊. Oder ein schönes Erlebnis, das Sie gemeinsam mit dem Adressaten hatten und nun in Worte fassen. Mit der Hand zu schreiben bedeutet auch, sich zu konzentrieren, sich Mühe zu geben, da man nicht einfach wie am PC beliebig oft die Löschen-Taste betätigen kann. Und sich mehr Zeit zu nehmen. Eine Wertschätzung, die man wichtigen Menschen in der Weihnachtszeit, zu besonderen Anlässen wie Geburtstagen oder an 365 Tagen im Jahr „einfach nur so“, um jemandem eine Freude zu machen, entgegenbringen kann.
2. Grund: Handschriftlich schreiben fördert effektives Lernen und die Merkfähigkeit
Schreibmotorik wirkt wie ein Turbo für unser Gehirn. Denn wenn wir handschriftlich schreiben, koordinieren wir 30 Muskeln und 17 Gelenke – eine feinmotorische Bewegung, die quasi unsere Neuronen zum Tanzen bringt. Wenn wir mit der Hand schreiben, dann unterscheidet sich diese Bewegung je nachdem, welchen Buchstaben wir gerade schreiben – wenn wir beispielsweise ein „B“ schreiben, dann bewegen wir unsere Schreibhand völlig anders als etwa bei einem „K“. Die Tippbewegung auf der Tastatur hingegen bleibt unabhängig vom geschriebenen Buchstaben immer gleich und ist feinmotorisch wenig anspruchsvoll. Deshalb merken wir uns handschriftlich aufgeschriebene Dinge verglichen mit Notizen auf dem PC wesentlich besser, was auch Untersuchungen beweisen. Studierende, die sich in der Vorlesung handschriftlich Notizen machen, können sich den Stoff besser merken als ihre Kommilitonen, die direkt ins Tablet schreiben. Und Schüler, die sich einen Spickzettel geschrieben haben, benötigen diesen bei der Klassenarbeit gar nicht mehr, da sie das Notierte bereits auswendig kennen. Oder haben Sie sich schon einmal einen Einkaufszettel geschrieben und diesen vergessen? Sicher haben Sie trotzdem so gut wie den ganzen Einkauf erledigen können. Auch im Büroalltag bietet es sich immer wieder an, mit der Hand zu schreiben: Warum nicht die gute, alte To-do-Liste mal wieder auf ein Blatt Papier schreiben? Dabei müssen Sie gleichzeitig priorisieren, um die wichtigste Aufgabe an den Anfang zu schreiben und leisten so viel mehr – mit dem Ergebnis, dass Sie Ihre Aufgaben inklusive Prioritäten ganz nebenbei abspeichern.
3. Grund: Bessere Ideen und mehr Kreativität durch das Schreiben mit der Hand
Wenn wir einen Buchstaben mit dem Stift formen, dann aktiviert das mehr Gehirnareale und fördert das Denken besser, als wenn wir einen Buchstaben lediglich auf der Tastatur sehen und auswählen. Das Schreiben mit der Hand erfordert zum einen eine komplexe, feinmotorische Bewegung und ist zum anderen durch das Anfassen verschiedener Schreibutensilien wie Stift, Papier und Radiergummi ein haptisches Erlebnis. Das zusammen macht uns im Vergleich zum reinen Tippen auf der Tastatur wesentlich kreativer. Zum Generieren neuer Ideen (was nicht nur in kreativ-schaffenden Berufen gefragt ist 😊) verspricht es den meisten Erfolg, handschriftliches Schreiben mit Zeichnen zu kombinieren. Vielleicht zählen Sie ja auch zu den Menschen, die ihre Ideen noch immer zunächst auf einem großen Blatt Papier visualisieren und strukturieren, indem Sie wild drauflos schreiben, Pfeile und Verbindungslinien malen, Begriffe einkreisen und so weiter. Auch beim kreativen Texten hat sich die Kombination aus Schreiben und Malen auf ein Blatt Papier, vor allem in Form der Mindmapping-Technik, bewährt. So kann man seine Gedanken zu einem Thema ungehindert laufen lassen, Assoziationen und unterschiedliche Aspekte finden und diese visualisieren. Die fertige Mindmap ist so individuell wie ihre Autorin oder ihr Autor und kann vieles zeigen: Zusammenhänge und Strukturen, verschiedene Möglichkeiten, ein komplexes Thema aufzubereiten oder eine Geschichte zu erzählen.
4. Grund: Handschriftlich schreiben fördert die Konzentration
Dass wir uns beim handschriftlichen Schreiben besser konzentrieren müssen, liegt auf der Hand. Denn im Gegensatz zum Tippen am PC können wir nicht jederzeit die Delete-Taste drücken. Wenn wir nicht gerade eine Kreativitätstechnik wie das Mindmapping nutzen, dann bemühen wir uns gleichzeitig, Dinge von vornherein in die richtige Reihenfolge zu bringen, statt ganze Absätze oder Satzteile durch copy-and-paste beliebig oft an eine andere Stelle im Text zu verschieben. Und wenn wir uns besser konzentrieren, dann fokussieren wir uns viel intensiver auf unsere jeweilige Aufgabe, wovon das Ergebnis und somit der Kunde oder derjenige, der das Endprodukt unserer Arbeit nutzt, am Ende auf jeden Fall profitiert. Verbesserte Konzentration und Fokussierung auf eine Aufgabe sind auch Gründe dafür, warum uns handschriftliches Arbeiten kreativer macht.
Früh übt sich, wer ein Meister in der Handschrift werden will
Doch nur, wer in der Schule eine flüssige, leserliche Handschrift erlernt, wird diese auch im Erwachsenenalter beibehalten und zum eigenen Vorteil sowie zur Freude von anderen nutzen können. Doch gerade am Erlernen der Handschrift krankt es. Wie eine repräsentative Umfrage des Schreibmotorik Instituts von 2019 unter Lehrkräften zeigt, haben 31 Prozent der Mädchen und 51 Prozent der Jungen Schwierigkeiten beim Erwerb der Handschrift. Mögliche Gründe dafür sind, dass sich Kinder heute weniger bewegen als früher und dadurch geringere motorische Fähigkeiten ausbilden. Auch feinmotorische Kompetenzen entwickeln sich schlechter, da Kinder etwa weniger malen und basteln, dafür aber häufiger am PC spielen oder ihr Smartphone zum Chatten nutzen. Der Distanzunterricht in der Coronazeit hat die Lage weiter verschlimmert. Laut der STEP-Studie 2022 („Studie über die Entwicklung, Probleme und Interventionen zum Thema Handschreiben“) sind fast ein Drittel der Lehrkräfte im Primarbereich und gut die Hälfte im Sekundarbereich der Schulen unzufrieden mit den Leistungen ihrer Schülerinnen und Schüler beim Handschreiben. Dabei haben bei den Jungen die Fertigkeiten besonders stark abgenommen, die ohnehin schon die meisten Probleme beim handschriftlichen Schreiben haben.
Ein Pilotprojekt und ein Liebesbrief an ein Pausenbrot
Was also tun, um dieser Entwicklung entgegen zu wirken? Seit geraumer Zeit bemühen sich Politiker sowie eine Hand voll Organisationen wie das Schreibmotorik Institut und die Stiftung Handschrift, die Fertigkeiten von Schülern zu fördern und diese mit kreativen Aktionen für das handschriftliche Schreiben zu begeistern. So wurde im September 2022 ein Projekt an vier Pilotschulen ins Leben gerufen. Die Lehrkräfte integrieren nun ein Bewegungsprogramm in den Mathematik- und Deutschunterricht, das die motorischen Fähigkeiten sowie die Konzentration ihrer Schüler fördern soll. Dass sich Schüler für das handschriftliche Schreiben begeistern lassen, bewiesen in der schönsten und lustigsten Form tausende von Liebesbriefen wie etwa der „Liebesbrief an ein Pausenbrot“, den eine Schülerin oder ein Schüler 2018 im Rahmen eines Schreibwettbewerbs für die 6. und 7. Klassen in Hessen zum „Tag der Handschrift“ verfasste. Seit mehr als zehn Jahren lobt die Stiftung Handschrift mit der Unterstützung des Hessischen Kultusministeriums diesen Wettbewerb aus. Das Thema 2024 heißt „Freundschaft“ – ein Thema so topaktuell und altmodisch wie die Handschrift.