Kemptner Hütte

Kemptner Hütte

Lange haben wir auf diesen Tag hin gefiebert und heute ist es endlich soweit: Wir starten zur Alpenüberquerung! Als individuelle Wanderreise, die wir zu zweit laufen, haben wir die Tour „E5 Oberstdorf – Meran: Alpenüberquerung mit Komfort“ beim Veranstalter „Abenteuer Wege“ gebucht. Eine Wanderung in sechs Etappen mit zwei Ruhetagen. Was wird uns erwarten? Haben wir genug trainiert? Und wie wird wohl das Wetter sein? Das sind Fragen, die mich beschäftigen. Zu Beginn erwartet uns gleich eine lange und nicht ganz einfache Tour. Aufgrund der zu überwindenden Höhenmeter beträgt die geschätzte Gehzeit 6 Stunden. Die Prognose erscheint uns etwas großzügig, denn die Faustformel für die Gehzeit lautet rund 4 km/h auf ebenem Gelände – bei der Alpenüberquerung die absolute Ausnahme 😉 – und 400 Hm pro Stunde im Aufstieg und ein Drittel weniger im Abstieg. Aber wir werden sehen …

  1. Über die Kemptner Hütte ins Lechtal (14,3 km, Auf: 983 Hm, Ab: 900 Hm)
  2. Madau – Ansbacher Hütte – Schnann (16 km, Auf: 1.230 Hm, Ab: 1.353 Hm)
  3. Venet-Überschreitung ins Pitztal (11,8 km, Auf: 135m, Ab: 1.345m)
  4. Über die Gletscherwelt Pitztal-Ötztal – Rettenbachjoch (9,4 km, Auf: 1.337m, Ab: 399m)
  5. Von Vent zur Bellavista Hütte (15 km, Auf: 1.130 Hm, Ab: 188 Hm)
  6. Von der Bellavista-Hütte ins Meraner Land (12,1 km, Auf: 111 Hm, Ab: 1.255 Hm)

Über die Kemptner Hütte ins Lechtal
(14,3 km, Auf: 983 Hm, Ab: 900 Hm)

Um 8:30 Uhr holt uns das Taxi am Explorer Hotel ab und bringt uns zur Spielmannsau bei Oberstdorf, dem Ausgangspunkt unserer Wanderung. „Mein Sohn hat die Alpenüberquerung das erste Mal mit neun gemacht, das ist ganz locker“, will uns der freundliche Taxifahrer Mut machen. Wir müssen schmunzeln, wissen wir doch, dass für Einheimische andere Maßstäbe in punkto Bergsteigen gelten.

Der Start

Der Start

An der Spielmannsau, einem urigen Berggasthof mit Übernachtungsmöglichkeiten, schultern wir unsere Rucksäcke. Die neun Kilo fühlen sich an wie zwanzig, die neuen Bergstiefel ungewohnt klobig, die Nacht im lauten Hotel war kurz. Gerade kann ich mir nicht vorstellen, die nächsten sechs Stunden so zu gehen. Doch die Bergkulisse am Ende der schmalen Straße, die stetig bergan durch saftig grüne Wiesen steigt, ist überwältigend. Das Wetter mit 15 Grad und strahlend blauem Himmel ideal. Und so setzen wir langsam einen Fuß vor den anderen und atmen dabei die klare Bergluft ein.

Im Sperrbachtobel

Im Sperrbachtobel

Bald verengt sich das Trettachtal und wir folgen einem schmalen Steig, der nach kurzer Zeit steil in Serpentinen über größere Steine und Geröll führt. Es ist schwülwarm und wir sind bald durchgeschwitzt. Der Weg ist etwas rutschig, da es vorher geregnet hat, und erfordert unsere ganze Konzentration. Fast am Ende des steilen Anstiegs wandern wir durch den Sperrbachtobel, einen rund 2,5 km langen, seilversicherten Steig. Ich fühle mich wie in einer Art Klamm. Schnell laufen wir über die Stellen, an denen Bergwasser in Form von Mini-Wasserfällen auf den Weg läuft. Rechts unten im Tal tost der Sperrbach, teils von Gletscherfeldern verdeckt. Aufsehenerregend!

Bizarrer Sperrbachtobel

Bizarrer Sperrbachtobel

Blick auf die Kemptner Hütte

Blick auf die Kemptner Hütte

Nach rund 3,5 Stunden „Arbeit“ erreichen wir die Kemptner Hütte. Da wir um 16:15 Uhr unseren Transfer erreichen müssen, bleibt uns keine Zeit für eine Einkehr. Obwohl wir das eingeplant hatten, wäre ein kaltes Getränk nun doch toll gewesen. Ich fülle also nur meine zwei Flaschen mit Leitungswasser auf. Weiter geht es durch die karge Bergwelt Richtung Mädelejoch, mit 1.971 m der höchste Punkt der Etappe. Auf dem Weg dorthin gönnen wir uns eine kurze Mittagsrast auf einem Fels. An der Kemptner Hütte, die wie hingewürfelt zwischen hoch aufragenden Bergen liegt, kann ich mich nicht satt sehen. Ein Postkartenmotiv, das die kitschige Seite in mir anspricht. Auf dem Joch passieren wir die deutsch-österreichische Grenze.

Es folgt der lange, zunächst steile und steinige Abstieg Richtung Holzgau im Lechtal. Obwohl ich bisher dachte, ich nehme die Trekkingstöcke nur pro Forma mit, benutze ich sie schon jetzt. Nach einiger Zeit flacht der Weg ab und das Tal öffnet sich mit Blick auf die Roßgumpenalm. Als Leckermäulchen blutet mir das Herz, denn wir müssen die verlockende Hütte mit dem angeblich hervorragenden Kaiserschmarrn links liegen lassen.

Auf dem Weg ins Lechtal

Auf dem Weg ins Lechtal

Weiter geht es einen breiten Schotterweg entlang, der Höhenbach rauscht immer auf unserer rechten Seite. Hier ist mehr los, einige Leute sitzen auf Steinen am Bach und kühlen ihre Füße oder laufen im Wasser herum. Wie toll wäre jetzt ein Bad. Mir ist so heiß, dass ich mir sogar vorstellen kann, mich in den kalten Gebirgsbach zu legen. Doch es hilft nichts, wir müssen weiter, denn um 16:15 Uhr wartet der Bus. Bald wandern wir an den Simms-Wasserfällen entlang, die sich in den jetzt wilder tosenden Bach stürzen. Ich unterhalte mich kurz mit einer Frau. Sie ist den E5 in umgekehrter Richtung gelaufen, hatte also heute ihren letzten Wandertag und ist wohl nochmal eben – just for fun – mit Flip Flops den Weg zu den Fällen hochgefedert. Aha … bewundernswert. Endlich sehen wir gegen 16 Uhr die Dorfkirche von Holzgau auftauchen. Es bleibt nur noch Zeit für ein Eis vom Mini-Supermarkt und schon geht es ab mit dem Kleinbus Richtung Madau, wo wir im Berggasthof Hermine übernachten werden.

In ca. 30 Minuten bringt uns die Fahrerin von Taxi Feuerstein in rasanter Fahrt erst über die Bundesstraße und dann über eine Schotterpiste in Serpentinen bergauf zum Gasthof. Aus dem Fenster schaue ich lieber nicht so oft, da es neben mir steil bergab geht und der Bus gefühlt am Abgrund entlang rast.

Der Berggasthof ist eine große Holzhütte mit einer Terrasse, auf der schon einige Wanderer sitzen. Sie liegt traumhaft inmitten von Bergwiesen mit Panoramablick. Unsere Unterkunft ist ein süßes Doppelzimmer, allerdings mit Gemeinschaftsbad nebenan. Wir sind Holzhütten nicht gewöhnt, das ständige Knarren bei jedem Schritt und die Geräusche aus Flur und Nebenzimmern. Nach einer kurzen Dusche gibt es ab 18:30 Uhr Abendessen auf der Terrasse: Salat, Cordon Bleu mit Pommes und zum Nachtisch kleine Waffeln mit Eis und Beeren.

Nach dem Essen erklärt der Wirt laut für alle, welche Wandermöglichkeiten es morgen ins Pitztal gibt:

  • Den E5 Standard über die Memminger Hütte mit 8-9 Stunden reine Gehzeit
  • Die „leichte Alternative“ über die Ansbacher Hütte mit 6-7 Stunden Gehzeit
  • Die Route über das Württemberger Haus mit einigen Kletterpassagen
  • Oder den Bus um 9 Uhr

Wir hatten uns schon vorher für die „Weichei-Variante“ über die Ansbacher Hütte entschieden.

Idyll am Berggasthof

Idyll am Berggasthof

Bei einem Glas Rotwein genießen wir noch kurz das Idyll mit Bergblick, Wäscheleine vor der Hütte und der kleinen Kapelle in der Nähe. Bald zeichnen sich die Berge nur noch als schwarze Schatten gegen den Himmel ab, es wird kühl. Wir gehen zeitig ins Bett

Madau – Ansbacher Hütte – Schnann
(16 km, Auf: 1.230 Hm, Ab: 1.353 Hm)

Um 6 Uhr klingelt der Wecker, das Frühstück um 7 Uhr ist gut und gegen 8 Uhr schultern wir wieder unsere Rucksäcke. Das ist eigentlich überhaupt nicht meine Zeit und so früh bin ich noch nie gewandert. Doch kaum stehe ich vor der Terrasse, fühle ich mich wach und fit. Die ersten rund 6 km wandern wir zunächst entlang einer schmalen Straße, danach über einen Schotterweg stetig bergauf. Wir gehen an einigen Holzhäusern vorbei, die wohl privat genutzt werden. Wenige Wanderer kommen uns entgegen. Wo mögen sie wohl schon so früh herkommen?

Bergwiese im Alperschontal

Bergwiese im Alperschontal

Weiter geht es über einen schmalen, steinigen Weg entlang eines Flusslaufs. Wir laufen durch bunt blühende Wiesen, über die unzählige Schmetterlinge flattern. Ein Gast aus dem Berggasthof Hermine kommt uns entgegen. Vor uns läge ein Schneefeld, er würde umkehren und eine alternative Route aus der Komoot-App auf der anderen Seite des Flusses laufen. Das ist für uns keine Alternative, denn wir erkennen auf der Gegenseite keinen Weg und vertrauen der App nicht hundertprozentig. Das Schneefeld ist recht groß und erstreckt sich vom matschigen Steilhang bis runter zum tosenden Fluss. Wenn wir vorsichtig den Hang entlang laufen, müsste es gehen. Mit Stöcken geht es gut, die eigentliche Herausforderung kommt am Ende in Form des rutschigen Hangs. Doch auch den meistere ich mit einiger Mühe.

Wir wandern weiter durch das schier endlose, einsame Alperschontal. Ein Glück, dass wir von der

Einsames Alperschontal

Einsames Alperschontal

Standardroute des E5 abgewichen sind. Vor einer kleinen, unbewirtschafteten Holzhütte setzen wir uns auf die Bank und machen Mittagsrast. Neben der Hütte liegt ein Holzstapel. Also scheint hier doch ab und zu jemand zu übernachten. Hierher müssen alle Vorräte hochgeschleppt werden, denn die Hütte ist nur über den Pfad erreichbar. Ein kleiner Holzbrunnen spendet meinen Händen und Armen Kühlung und meiner Flasche frisches Quellwasser. Der Blick auf das Tal und den Weg, den wir bis hierher zurückgelegt haben, ist überwältigend. Eine große, friedliche Ruhe umgibt uns und durchdringt mich bald. Handyempfang gibt es keinen. Gedanken wie was wirklich zählt, Leben mit der Natur und nur das Nötigste mitnehmen gehen mir durch den Kopf. Wahrscheinlich Gedanken einer „Stadtfrau“ (wie ein guter Freund immer sagt), die das einfache Leben romantisch verklärt. Wie auch immer, momentan fühle ich mich so gut wie lange nicht und habe eine große Sehnsucht danach, länger in dieser Bergwelt zu bleiben.

Mystischer Aufstieg

Mystischer Aufstieg

Immer steiler, über einen schmalen Steig und Geröll geht es bergan in Richtung Flarschjoch, mit 2.464 Metern der höchste Punkt unserer heutigen Tour. Der Nebel wird immer dichter. Am Wegesrand tauchen große Felsbrocken auf. Wir sind komplett alleine in dieser mystischen Landschaft. Zwischen Gesteinsbrocken leuchten gelbe Blumen und zeigen uns, was Lebenswille heißt. Endlich erreichen wir gegen 14 Uhr – nach rund 6 Stunden – die Ansbacher Hütte. Wir wärmen uns kurz auf, trinken einen Cappuccino und essen Schoki. Wir müssen weiter, denn in Schnann wollen wir den Bus gegen 17 Uhr nach Zams erreichen.

Überlebenswille auf 2.500 Meter

Überlebenswille auf 2.500 Meter

Zügig kraxeln wir die rund 1.300 Hm hinunter nach Zams. Der Abstieg zunächst über Bergwiesen, danach steil durch einen Wald hat es in sich. Wir machen nur einige, kurze Trinkpausen. Am Ende habe ich kaum noch Kraft, es ist sehr heiß. Müde fallen wir gegen 17 Uhr in den Bus, der uns zum Bahnhof Landeck-Zams bringt. Die letzten 2 Kilometer wollen wir nicht laufen, wir gönnen uns ein Taxi.

Gegen 18 Uhr kommen wir an der Pension Haueis in Zams an. Wir beziehen das schöne, geräumige Zimmer mit Balkon. Ich zische ein Radler fast auf Ex, dusche und packe aus. Das leckere Abendessen im Gasthof Gemse nebenan kann ich dringend gebrauchen: Frittatensuppe und Kaspressknödel mit Salat.

Fazit: Ein toller, aber anstrengender Tag in grandioser Berglandschaft. Doch anstatt in Zams wäre ich lieber noch auf dem Berg …

Venet-Überschreitung ins Pitztal
(11,8 km, Auf: 135m, Ab: 1.345m)

Nach einem verdienten Ruhetag in Zams mit Besichtigung der Klamm, dem Zammer Lochputz, heißt es heute wieder Rucksack schultern und Bergstiefel anziehen. Heute erwartet uns eine vergleichsweise kurze Etappe, so dass wir „erst“ um 8 Uhr frühstücken.

Panoramaweg im Nebel

Panoramaweg im Nebel

Mit der Venet-Bergbahn um 9:30 Uhr schweben wir – zunächst mit Blick auf Zams, danach durch dichten Neben – Richtung Venet-Plateau auf 2.208 Meter Höhe. Da wir nur wenige Meter Sicht haben, entfällt die eingeplante Aussichtspause. Wir weichen zunächst von der Originalroute des E5 ab und wandern auf einem schmalen Pfad, dem Panoramaweg, Richtung Goglesalm. Es ist sonnig und warm geworden, doch für eine Einkehr nach rund 1 Stunde wandern ist es zu früh. So rüsten wir nur kurz um (Regenjacke aus, Sonnenbrille an) und spielen mit dem Hüttenhund eine Runde Ball.

Weiter geht es über die Galfunalm zur Larcher Alm, die wir nach einer weiteren Stunde erreichen. Dort wollen wir einkehren. Da es mittlerweile wieder kühl und neblig ist, gehen wir in die kleine Holzhütte. Sie besteht aus einer großen Küche und einem dahinter liegenden Gastraum, der fast komplett vom viereckigen Holztisch mit Eckbänken eingenommen wird. Von dort aus führt eine Holzleiter in den ersten Stock. In der Hütte ist es mollig warm, der Duft von Bergkäse liegt in der Luft. Das Paar, das schon am Tisch sitzt und isst, empfängt uns freundlich und wir unterhalten uns über unsere Touren. Der empfohlene Hüttentoast, der zügig von der herzlichen Wirtin gebracht wird, schmeckt sehr lecker. Mit der frischen Buttermilch dazu bin ich restlos zufrieden.

Weiter geht es über den „Alten Almweg“, einen schmalen Pfad, der sich teils durch Wiesen und teils

Auf dem Alten Almweg mit Blick ins Tal

Auf dem Alten Almweg mit Blick ins Tal

durch kleine Waldstücke mit Nadelbäumen recht steil bergab windet. Die Originalroute des E5 führt auf der Schotterpiste abwärts. Es ist kühl und ich ziehe Pullover und Jacke an. Bald hören wir es donnern und die ersten Tropfen fallen. Als es richtig anfängt zu schütten, können wir uns gerade noch unter einen großen Nadelbaum retten. Hier bleiben wir fast trocken. Wir sind froh, schon recht weit abgestiegen zu sein. Denn weiter oben hätte das Gewitter gefährlich werden können. Früh aufstehen zahlt sich halt aus in den Bergen, so langsam sehe sogar ich als Langschläferin das ein. Doch der Regen hört nicht auf und so patschen wir über mit Wasser vollgesogene Wiesen weiter talwärts. Unsere Regenhosen haben wir nicht angezogen und so sind wir bald nass bis auf die Unterhosen. Ich bin einmal mehr dankbar für meine tollen Bergstiefel, die wenigstens für trockene Füße sorgen.

Nachmittags kommen wir triefend in der Pension Gasser in Wenns an. Zunächst bleiben wir im Flur stehen, um nicht überall Pfützen und Schlammspuren zu hinterlassen. Da kommt schon Frau Gasser um die Ecke und begrüßt uns mit dem Angebot, unsere nassen Schuhe zum Trocknen auf Wärmehaken zu hängen und einen Wäscheständer für die nassen Sachen aufzustellen, extrem herzlich. Auch informiert sie uns gleich über den Busfahrplan für den nächsten Tag und will ermäßigte Tickets für uns besorgen. Das ist echte Gastfreundschaft!

Wir ruhen ein bisschen aus und rennen später im strömenden Regen zum gegenüber liegenden Pitztaler Hof zum Abendessen. Da wir nur wenige Übernachtungssachen im Rucksack mitgebracht haben – das Gepäck bekommen wir alle zwei Tage – sind wir mit frischer Wanderhose, Wandershirt, Regenjacke und Espandrillos unterwegs. Eine etwas bizarre Kleidung für das Lokal, da sich wohl hier fast alle – wie auch immer es aussehen mag – zum Essen gehen ein bisschen aufhübschen. Hier ist sowohl vom Ambiente als auch vom Essensangebot die Zeit in den 80er Jahren stehen geblieben. Es ist viel los, vor allem sind viele Holländer im Lokal. Mein Essen – Jägerschnitzel mit Spätzle – kommt auf einer Wärmeplatte. Dazu ein separater Teller und Salat. Ich hatte schon fast vergessen, dass es so etwas gibt. Doch es schmeckt. Dazu genieße ich einen Zweigelt und hinterher einen Zirbenlikör.

Ein versöhnlicher Ausklang für einen nassen, nebligen Wandertag. Die Einkehren waren heute mal die Highlights.

Über die Gletscherwelt Pitztal-Ötztal – Rettenbachjoch
(9,4 km, Auf: 1.337m, Ab: 399m)

Heute brechen wir alle Rekorde in Sachen früh aufstehen: 5:45 Uhr! Denn wir müssen um 6:30 Uhr am Frühstückstisch sitzen, um den Bus nach Mittelberg um 7:32 Uhr zu erreichen. Ja, Urlaub kann auch Stress bedeuten. Dadurch, dass wir die „Komfortvariante“ der Reise gewählt haben mit nur zwei Hüttenübernachtungen und jeden zweiten Tag Gepäckzustellung, fressen die Transfers von den Hotels/Pensionen zu den Ausgangspunkten der Wanderungen recht viel Zeit. Das merke ich erst jetzt so richtig. Doch ich bin nicht der Hütten- und Schlafsack-Typ. So würde ich mich trotz früh aufstehen wieder für die Transfers mit vorigen Übernachtungen in kuscheligen Doppelzimmern mit Bad entscheiden. Nach dem leckeren Frühstück, dass uns Frau Gasser liebevoll zubereitete, geht es mit belegtem Brötchen im Gepäck – selbstverständlich durften wir den Rest unserer Brötchen mitnehmen – Richtung Bushaltestelle.

Beschwerlicher Aufstieg

Beschwerlicher Aufstieg

Heute erwartet uns die anspruchsvollste, spannendste Etappe der ganzen Tour. Wir werden die 3.000 Meter-Marke überschreiten. Und bisher hatten wir gehofft, die spektakuläre Route über das Pitztaler Jöchl zu laufen – eine ausgesetzte, seilversicherte Querung entlang einer steilen Flanke mit toller Aussicht. Das ist der E5-Standard. Doch diese ist nur bei guten, trockenen Witterungsverhältnissen begehbar. Schnell wird klar, dass uns das Wetter einen Strich durch die Rechnung machen wird. Doch wie empfohlen, wollen wir uns später in der Braunschweiger Hütte über die Wetterverhältnisse schlau machen.

Bach tost in den Nebel

Bach tost in den Nebel

Unsere Wanderung starten wir am Berghof Steinbock außerhalb von Mittelberg/Pitztal. Nach dem anfänglichen Schotterweg wandern wir bald über einen Trampelpfad, der leicht bergan über eine Bergwiese, über Steine und durch kleine Bäche führt. Rechts neben uns tost ein breiter Gebirgsbach, nach oben schon von Nebelschwaden verdeckt.

 

Lichtblick

Lichtblick

Immer steiler kraxeln wir über Geröll und Felsbrocken bergauf. Bald sind wir ganz im Nebel verschwunden, die Sicht beträgt wenige Meter. Den Weg können wir nur noch dank der roten Markierungen auf den Steinen erkennen. Oft halten wir uns an der Seilsicherung fest. Wo ich beide Hände brauche, sind die Stöcke im Weg. Der Weg nimmt und nimmt kein Ende, ich bin erschöpft. Fast fühle ich mich wie in einem Alptraum, in dem man geht, aber nie vom Fleck kommt. Doch die Bergwelt verzaubert mich trotzdem: Wie in Watte gepackt, nehmen wir kein Geräusch wahr. Wir sind ganz alleine. Es ist ein fast surreales Erlebnis.

Endlich taucht um ca.12:45 Uhr die Hütte plötzlich

Au weia ...

Au weia …

aus dem Nebel vor uns auf. Wir können noch nicht mal erkennen, wo der Eingang ist. Es ist kalt, die Terrasse ist verwaist. Wir gehen hinein und bestellen ein Getränk, unser Brötchen dürfen wir zum Glück auspacken. Wie erwartet, empfiehlt uns der Wirt die Route über das Rettenbachjoch. Der Abstieg nach Sölden würde sich bei dem Wetter nicht lohnen, wir könnten vom Joch die Seilbahn nehmen. Trotzdem ich auf diesen Rat gefasst war, bin ich enttäuscht, dass uns das Pitztaler Jöchl entgeht. Zumal ich hier vermutlich nicht mehr so schnell – wenn überhaupt – hinkommen werde. Aber das Wetter ist in den Bergen Gesetz, damit muss man sich abfinden. Andererseits verteilt die Landschaft so freizügig ihre Geschenke, dass meine Gefühle angesichts dieser Großzügigkeit kleinmütig erscheinen.

Der Weg

Der Weg

Und so setzen wir unseren Weg durch den dichten Nebel fort, der nochmals steil bergan durch die Gletscherwelt zum Rettenbachjoch führt. Wieder wandern wir allein und auch in der Seilbahn, die uns in wenigen Minuten zum Rettenbach Gletscher bei Sölden bringt, sind wir die einzigen Gäste. Wir sprinten zum 14:30 Uhr-Bus, der uns nach Sölden bringt. Auch hier ist der angekündigte Wetterumschwung bereits angekommen: 11 Grad und Regen.

Die Pension Sportalm ist schön und gepflegt, der Empfang mit einem „Schnapserl“ herzlich. Das Zimmer ist jedoch sehr klein, vom Balkon haben wir heute nichts.

Durch strömenden Regen laufen wir zum Abendessen ins Zentrum, schnell haben wir nasse Füße. Wir belohnen uns bei Tom’s mit einem leckeren Abendessen: Duett von Lachsforelle und Saibling, Kartoffeln und Salat. Dazu einen Spritz Aperol. Danach kehren wir noch in einer Bar ein. Solche Bars habe ich schon oft in Österreich erlebt: Es läuft Oldie-Musik, die nicht mehr jungen Kellnerinnen sind rau aber herzlich, es wird ohne Ende gequalmt und der Alkohol läuft in Strömen. Knabberzeug gibt es reichlich gratis. Ich liebe es, so ganz ohne Schicki-Mickis und überteuerte Großstadtpreise für mittelmäßigen Wein. Das haben wir uns verdient!

Von Vent zur Bellavista Hütte
(15 km, Auf: 1.130 Hm, Ab: 188 Hm)

Stallwiesalm

Stallwiesalm

Hinter uns liegt der „Ruhetag“ in Sölden. Wir wollten nicht wandern, doch der Ort hat außer Wintersport wenig zu bieten. So folgten wir der Empfehlung unseres Gastgebers und wanderten auf die Stallwiesalm. „Des isch ganz locker, nur 1,5 Stunden“ hörte sich nach Entspannung an. Doch es kam anders, denn wir stiegen die 1,5 Stunden und 500 Hm steil bergauf. Warum wunderte mich das? Wusste ich doch, dass für Einheimische andere Maßstäbe gelten. Es war wieder heiß. Wie auch immer, ich wurde mit einem leckeren Kaiserschmarrn (der Erste dieses Urlaubs, es wurde Zeit!) und einem Platz auf der Terrasse mit Postkartenblick belohnt.

Doch jetzt zu heute: Um unchristliche 6:15 Uhr klingelt der Wecker, denn wir wollen um sieben frühstücken. Da der Gastgeber es vorzieht, Morgensport zu machen als uns pünktlich das Frühstück, sitzen wir erst um 7:20 Uhr am Tisch. Ich bin sauer, denn es bleiben genau zehn Minuten zum Dopen mit Kaffee und Müsli. Sowas nimmt mir mein Magen übel.

Hochjoch-Hospiz

Hochjoch-Hospiz

Um 8:09 Uhr bringt uns der Bus nach Vent, wo wir rund eine halbe Stunde später ankommen. Das Wetter ist großartig, klarer Himmel und ca. 8 Grad. Ich trage den Vlies, der mir bald zu warm wird. Zunächst geht es durch ein weites Tal auf einem breiten Weg sanft bergan. Wir gehen auf dem BARTEB’NE Kunstpfad, doch für Kunst habe ich heute Morgen leider noch keinen Sinn. Weiter wandern wir bis zu einer Hängebrücke, die über den Spiegelbach zum Berggasthof Rofenhof führt. Muss das toll sein, hier ein paar Tage zu übernachten und in diesem wunderschönen Tal zu wandern! Doch wir wandern natürlich weiter, hinein in das einsame, karge Rofental. Der Pfad wird schmaler und ist teils seilgesichert. Es folgt ein steiler Anstieg und nach rund 8 km und 2,5 Stunden erreichen wir das Hochjoch-Hospiz. Die kleine Hütte schmiegt sich einsam an den steilen Berg. Es ist sehr kühl, wir gehen hinein und trinken einen Kaffee.

Am Seil

Am Seil

Der weitere Weg durch das Tal ist großartig. Immer wieder passieren wir seilgesicherte Abschnitte. Schmal und teils steil steigt der Pfad über Felsen, Geröll und kleine Bachläufe an. Mittlerweile nehme ich anfangs nur noch einen Liter Wasser mit und fülle meine zwei Flaschen später mit Bach- oder Quellwasser auf. So spare ich rund 1 Kilo und habe nur noch ca. 8 Kilo zu tragen. Mehr als 9 Kilo sollte man keinesfalls schleppen! So lautet die Empfehlung, die ich nur bestätigen kann. Auch hier schmeckt das frische, eiskalte Wasser toller als alles andere. Das Tal öffnet sich immer mehr und weit unter uns fließt inmitten von Geröll ein Fluss. Einige Berggipfel in der Ferne tragen weiße Mützen. Gegen halbzwei rasten wir auf einem großen Stein.

Einsamer Wanderer

Einsamer Wanderer

Karges Rofental

Karges Rofental

 

 

 

 

 

 

Wir ziehen weiter und der Weg zur Bellavista-Hütte zieht sich endlos und verlangt mir viel Kraft ab. Manchmal fühle ich mich an die schottischen Highlands erinnert, nur dass ich diese Landschaft noch Ehrfurcht gebietender finde. Wenige Wanderer kommen uns entgegen. Einige große Schafe mit langen Köpfen, die ganz anders aussehen als mir bekannte Arten wie das Rhönschaf, weiden auf dem kargen Boden. Endlich passieren wir das alte Zollhaus an der österreichisch-italienischen Grenze. Überall stehen Schilder „Bitte gehen Sie weiter, Privatsphäre achten!“. Das Haus ist also bewohnt. Lustig ist die Dusche, die vom Weg aus gut sichtbar neben der Hütte steht. Deshalb wohl die Schilder … langsam kommen die Lifte des Skigebiets Kurzras in Sicht, die auf knapp 2.900 Meter Höhe in der Nähe der Hütte enden. Jetzt kann es nicht mehr weit sein.

Bellavista Hütte

Bellavista Hütte

Tatsächlich kommt gegen 16 Uhr die Hütte in Sicht, endlich!
Ich habe wenig Erfahrung mit Berghütten und so überwältigt mich der erste Eindruck. Anscheinend haben wir es mit einer ganz besonderen Unterkunft zu tun: Ein Stück weit von der Hütte liegt eine Holzterrasse mit Liegestühlen und atemberaubender Aussicht. Doch es ist kalt und so ist der schöne Ort leer. Gleich daneben liegen ein Outdoor-Whirlpool und eine Fasssauna. Wahnsinn!

Dem Himmel so nah

Dem Himmel so nah

Sauna im Fass

Sauna im Fass

 

 

 

 

 

 

Wir gehen in die Hütte, wo uns das junge Team herzlich begrüßt und sich vorstellt. Hier duzen sich alle. Über eine knarrende Holztreppe steigen wir in den zweiten Stock, wo unser Doppelzimmer liegt. Sehr süß, das Doppelbett mit rotweiß karierten Bezügen schließt am Kopfende an ein kleines Fenster mit Blick auf die Bergwelt an. An den Wänden gibt es wenige Holzregale, neben dem Bett steht eine kleine Kommode. Es ist sehr eng. Auf dem Flur gibt es zwei Waschbecken, das Gemeinschaftsbad liegt im ersten Stock. Es ist alles neu für mich. Einfach, aber sehr gepflegt. Wir trinken ein großes Kaltgetränk in der Gaststube, duschen und ruhen etwas aus.

Wie im Puppenzimmer

Wie im Puppenzimmer

Um 19 Uhr gibt es ein Abendessen, von dem sich manches Restaurant eine Scheibe abschneiden könnte: Flan mit Pfifferlingen, Bergkäse-Kürbis-Süppchen, Lammbraten mit Kartoffeln und zu guter Letzt Schokoparfait mit Schokosoße. Dazu eine unglaubliche Weinauswahl, der junge Wirt kennt sich bestens aus. Wow! Die Hütte ist nicht ausgebucht, vorwiegend Paare und wenige Familien. Es ist kalt, ich trage mein Vlies. Essen und Wein wärmen, machen froh und müde. Gegen 23 Uhr sind wir im Bett. Es ist ruhig und kalt. Trotzdem öffnen wir das Fenster einen Spalt und atmen die klare Luft ein.

Von der Bellavista-Hütte ins Meraner Land
(12,1 km, Auf: 111 Hm, Ab: 1.255 Hm)

Heute also steht schon unsere letzte Tour auf dem Weg über die Alpen an. Kaum zu glauben, dass wir es bald geschafft haben. Eine tolle Reise, die sich jedoch durch die ganzen Transfers nicht so sehr nach einer Überquerung anfühlt. Dieses Feeling kommt wohl eher bei einer klassischen Hüttenwanderung ohne Fahrten zwischendurch auf.

Kälteeinbruch

Kälteeinbruch

Wir stehen gegen sieben auf und starten um neun nach einem guten Frühstück. Nachts hat es Frost gegeben. Kein Wunder, der erste Schnee war jetzt Ende August auch schon da. Es ist noch immer kalt und ich ziehe alles an, was ich dabei habe. Der Reiseveranstalter bezeichnet diese Tour als „gemütliches Auslaufen“, na dann schauen wir mal …

… durch schroffe Landschaft wandern wir zunächst auf einem schmalen Pfad um ein Bergmassiv herum. Der Blick auf die still stehenden Lifte stört die Harmonie; Skigebiete im Winter sind wirklich keine Zierde. Bald kommen und recht viele Wanderer – größtenteils italienischsprachig – entgegen. Es ist Freitag, vielleicht übernachten sie auf der Hütte. Wir laufen durch einige Schaf- und Ziegenherden.

Wärmende Wolltiere

Wärmende Wolltiere

Um ca. 11:30 Uhr erreichen wir Kurzras, leider eine Bausünde mit hässlichen Hotelklötzen, ähnlich wie in den französischen Skigebieten. Den Ort lassen wir schnell hinter uns und wandern weiter über Wiesen, schmale Pfade und durch Waldstücke hindurch. Oft geht es steil auf und ab, der Weg zieht sich. Von einem gemütlichen Auslaufen kann nicht die Rede sein. Im Berggasthof Finailhof wollen wir gegen 14 Uhr endlich einkehren, die Terrasse und auch die Gasträume sind jedoch rappelvoll. Große Gruppen Italiener, die wohl das Wochenende einläuten, bevölkern die Hütte.

Vernagter See

Vernagter See

Was ein Pech, wir haben einmal keinen Proviant eingepackt und ich habe Hunger und bin erschöpft. Es ist sehr warm geworden. Dann muss eben ein Müsliriegel dran glauben. Bald haben wir einen tollen Blick auf den türkisblauen Vernagter See, das letzte Ziel unserer Wanderung. Um ca. 14:30 Uhr erreichen wir endlich Vernagt und verpassen knapp den Bus, der uns nach Naturns bringen soll. Also kehren wir kurz ein und stärken uns mit Kaffee und Kuchen. Wir nehmen den Bus um 15:15 Uhr nach Naturns und von dort den Zug nach Meran.

Gegen 17 Uhr sind wir im Hotel an der Passeier-Promenade. Ich bin geschafft! Nun heißt es nur noch duschen, auspacken, ein bisschen ruhen und dann in einem Lokal in den nahe gelegenen Laubengängen speisen. Nach der einsamen Wanderung vom letzten Tag und der Hüttenübernachtung ist die eigentlich gemütliche Kurstadt fast ein Schock. Doch wir werden heute Abend und morgen trotzdem gut entspannen können.

Meran an der Passeier

Meran an der Passeier