„Wir wollten Timeline zu einem Ort machen, bei dem ihr stolz seid, ihn euer Zuhause zu nennen.“ Das erklärte Facebook-Chef Mark Zuckerberg auf der Entwickler-Konferenz f8 („fate“ wie Schicksal oder auch Verhängnis), als er die komplett überarbeitete Webseite am eigenen Beispiel präsentierte.

Timeline ersetzt die bisherige Pinnwand und soll die Lebensgeschichte eines jeden Facebook-Nutzers auf nur einer Seite, quasi als interaktiven Lebenslauf, zeigen. Hinzu kommt die neue Tickerfunktion: Hier laufen die Aktivitäten der Nutzer als Live-Stream automatisch bei den Freunden ein, wenn sie die passende App haben. Alle Einträge wie zum Beispiel Musikstücke und Videos werden im Großformat dargestellt, niemand muss mehr die Seite verlassen, um sie zu nutzen. Wenn viele Freunde einen Musiktitel oft genug angehört haben, wandert er vom Ticker in die Timeline und wird dort Teil ihres Lebens, jederzeit abrufbar und für immer gespeichert. Wo man geht und steht, die Facebook-Freunde sind immer dabei: So können sie sich über ihre Smartphones mit dem passenden Funkdienst zum Beispiel beim Joggen oder Shoppen virtuell begleiten und ihre Aktionen kommentieren. Wer weiß, vielleicht kommt es ja sogar hin und wieder zu einem Treffen im realen Leben wenn man jederzeit weiß, wo die Freunde sind? Aber das nur nebenbei.

Eine wahrhaft geniale Entwicklung: Während alle Forscher der Welt noch darüber brüten, wie Maschinen die Inhalte des Web verstehen können, lässt Mark Zuckerberg seine Nutzer maschinenlesbare Daten schreiben, und das gratis frei Haus. Timeline setzt die Science Fiction-Vision einer vollständigen, fortlaufenden Kopie des realen Lebens in die virtuelle Welt einfach und schnell bedienbar um. Wer so real und lebendig auf Facebook lebt und viel Zeit und Herzblut in die Gestaltung seiner Timeline gelegt hat, wird Facebook wohl nicht so schnell wieder den Rücken kehren.

Mehr als 800 Millionen Menschen sind weltweit in diesem Netzwerk aktiv und davon mehr als 20 Millionen in Deutschland. Sie verbringen dort schon jetzt 15 Prozent ihrer Online-Zeit, mehr als irgendwo anders im Web. Da die Grenzen des Zulaufs irgendwann erreicht sein könnten, auch durch Konkurrenten wie Google+, lässt Facebook seine Nutzer nun mehr Daten liefern anstatt auf eine Steigerung der Userzahlen zu setzen. Facebook schafft das perfekte Werbesystem – denn was könnte die Dienstleister der Welt mehr erfreuen, als alle relevanten Informationen auf einem einzigen Portal zu finden? Sollte Mark Zuckerbergs Plan aufgehen und Facebook der virtuelle „Place to be“ werden, geht für werbende Unternehmen künftig kein Weg mehr daran vorbei.

Ich bin gespannt, ob Mark Zuckerbergs Plan aufgeht. Mal sehen, wie viele sich zum gläsernen User machen und als gratis Nonstop-Datenlieferant für Facebook fungieren möchten. Ob und wie viele Daten man liefern und im Gegenzug sozusagen als Empfehlungen von Facebook-Freunden erhalten möchte, das muss man sich als Facebook-Nutzer nun einmal mehr fragen. Wichtig ist nur, dass man es hinterfragt. Ich jedenfalls frage mich, was an einem permanenten, parallelen Leben im Netz so sexy sein soll. Aber wahrscheinlich gehöre ich in Sachen Web 2.0 zur Dinosaurier-Generation. Und gar im Netz zuhause sein? Für mich eine irritierende und traurige Vorstellung. Doch es bleibt noch ein wenig Zeit und somit spannend – vorerst können deutsche Facebook-User die meisten Dienste aus lizenzrechtlichen Gründen ohnehin noch nicht nutzen.