Es ist Spätsommer und mich zieht es raus aus der Stadt. Im Internet stoße ich auf Bilder einer Vulkanlandschaft. Die Chaîne des Puys – die Vulkankette – bedeckt wie eine grüne Mondlandschaft weite Teile der Auvergne. Sofort schießen mir abenteuerliche Wanderungen, Natur pur und Entspannung durch den Kopf – genau das suche ich, da muss ich hin! Die Krux: Ich bin nicht gerade frankophil, das konnten auch diverse Frankreichurlaube nicht ändern. Soll ich also schon wieder zu unseren fremden Nachbarn fahren? Und auch noch mitten ins bäuerliche Herz des Landes, in die Auvergne, la France profonde? Ich habe es getan. Gefunden habe ich abenteuerliche Wanderungen, viel Sonne, Schwimmen mit Aussicht, abgeschiedene Dörfchen mit speziellen Einwohnern und massenweise französische Touristen. Nur meine Frankophilie, die habe ich noch immer nicht entdeckt.

Die Ankunft: Murol in der Auvergne

Gestartet war ich vor zwei Tagen in Darmstadt. Die Fahrt von meinem Zwischenstopp in Besancon nach Murol, einem kleinen Dörfchen in der Auvergne, verläuft gut und ruhig. Auf der Autobahn und den Raststätten, Aire de soundso wie sie in Frankreich heißen, ist viel los. Wahrscheinlich düsen samstags im August viele Richtung Südfrankreich in die Ferien. Und man merke: Noch immer führen alle Wege nach Paris, wohin man schließlich auch über Dijon oder Lyon gelangt J. Wie gestern setze ich mich einfach auf eine Wiese, diesmal neben ein überdimensioniertes Raststättengebäude, das sich verbunden mit einem langen Tunnel auf der anderen Autobahnseite fortsetzt. Gemütlich ist anders, aber immerhin ist es ein Platz an der Sonne. Und rauchen darf man in Frankreich wo man geht und steht, also steht einem Verdauungskippchen nichts im Weg.

In Murol angekommen, finde ich die Residence de Michèle nicht. Da sie keine Hausnummer hat, versagt die Navigation mit dem Hinweis, ich sei doch auf der Rue du Tartaret angekommen. Ja schon, aber was jetzt? Ich parke das Auto an der schmalen Hauptstraße, die von Shops, Restaurants und Steinhäuschen gesäumt und am Nachmittag von bummelnden Menschen bevölkert ist. Ich frage mich durch und habe schließlich Erfolg bei der Inhaberin eines kleinen Kramerlädchens, die in Murol lebt und also endlich die Residence kennen sollte, wie ich von zuvor erfolglos befragten Einzelhändlern erfahren habe. Zum Dank und weil ich ohnehin noch ein paar Lebensmittel brauche, kaufe ich Wasser, Käse, Schinken und Tomaten und stopfe alles ins voll beladene Auto.

Sofa oder ruhige Lage?
Endlich komme ich an der Unterkunft, einem zweistöckigen Steinhaus mit vorgelagertem, kleinen Parkplatz an. Meine Vermieterin erwartet mich schon und führt mich über die alte, knarrende Holztreppe in den zweiten Stock. Doch oh Schreck: Das Appartement liegt auf der Seite der stark befahrenen Straße Richtung St. Nectaire. Gegenüber befindet sich ein großer Parkplatz, auf dem sich Familien zwischen ihren Autos tummeln. Meine Gastgeberin spricht kein Wort Englisch, obwohl sie meine Buchungsmails in bestem Englisch beantwortet hatte. Ich muss also mein verstaubtes Französisch entstauben und schnell und frisch poliert zum Vorschein bringen, was eigentlich positiv, doch in der Situation eher stressig und nervig ist. Also mache ich ihr deutlich, dass die Straße für erholsame Ferien etwas zu laut sei und ich hier eigentlich Ruhe suche. Mit Erfolg: Sie bietet mir ein Appartement mit Blick auf den Garten an. Die Krux: Es hat kein Sofa. Im Bewusstsein, dass man nicht alles haben kann, auch nicht im Urlaub, entscheide ich mich für die Ruhe anstelle des Sofas. Und siehe da: Madame bezieht dort mein Bett und ich kann einziehen. Ich freue mich, werde aber gleich mit weiteren Schwierigkeiten konfrontiert, zum Beispiel fehlen Handtücher. Also steige ich wieder ins Auto und treibe gegen Abend in einem nahe gelegenen Laden wirklich welche auf.

Das Gepäck muss schließlich auch noch ins Appartement, also schleppe ich mein im Auto aufgestautes Sack und Pack die zwei Stockwerke hoch. Eine gefühlte Ewigkeit später mache ich mich müde Richtung Örtchen zum Abendessen auf. Lokale sind eher rar gesät, alle sind sehr einfach. Ich suche ja hier keine Gourmetküche, aber langeiliges Essen finde ich nicht toll. Zumindest hätte ich mir ein paar lokale Spezialitäten vorgestellt. Letztendlich esse ich auf einer Terrasse einen „Burger Bleue“, der wenigstens ein bisschen Käse aus der Region abbekommen hat.

Und nach ein paar Gläsern Rotwein vor dem Notebook, unter der ungemütlichen Deckenbeleuchtung, die ich mit meinem wunderschönen, türkisen Schal zugehängt habe, sieht die Welt schon ganz anders aus. Ich denke spontan an Scarlet O‘ Hara alias Vivien Leigh, die am Ende des Filmes „Vom Winde verweht“ folgendes erkennt: Morgen ist wieder ein neuer Tag!

Zum Lac de Chambon und Schloss von Murol

(Rother Wanderführer „Auvergne“, geplant 2:30 Std. und 8,1 km)

Ich wache gegen halbacht auf, hier schläft es sich gut, außer dass das Kissen nicht besonders ist. Kaum bin ich wach, höre ich schon das Geschrei der Kleinkinder aus dem Nebenzimmer. Vielleicht ist August doch nicht die richtige Reisezeit für einen entspannten Urlaub in Frankreich, mindestens drei Familien mit Kleinkindern habe ich gestern schon im Haus getroffen. Es ist zwar Ferienzeit, aber so extrem hatte ich es mit nicht vorgestellt. Und das Haus mit knarrenden Böden und klapprigen Holztüren wirkt auch nicht gerade geräuschdämmend. Aber Schluss mit Quengeln, schließlich habe ich Urlaub und will nicht gleich am ersten Tag den Teufel an die Wand malen.

Ein Vulkan, ein See und wildgewordene Jeeps
Aber jetzt zu meinem Tag: Zum Frühstück gibt es Kaffee (was sonst, mein Lebenselexier neben Wein), ein Muffin und ein Joghurt. Es ist kühl für August, 9 Grad um acht Uhr, und dementsprechend ziehe ich mir sogar einen Pulli schon zum Frühstück an.

Dermaßen gestärkt beginne ich meinen Tag mit dem relativ steilen Aufstieg gleich hinter dem Haus durch Laubwald auf den Gipfel des „Le Tartaret“, einen erloschenen Vulkan. Daher kommt wohl auch der Name der Straße. In dem Fall merkt man überhaupt nicht, dass man sich auf vulkanischem Boden befindet, es fühlt sich eher an wie der Aufstieg auf einen bewaldeten Hügel eines Mittelgebirges etwa wie dem Odenwald. Oben angekommen, habe ich einen schönen Blick auf den Lac de Chambon und die Gebirgskette des Massif du Sancy. Sie sieht für mich nicht wie im Reiseführer beschrieben alpin aus. Alpin sind für mich die Alpen oder Rocky Mountains. Vielmehr handelt es sich um eine Kette begrünter Bergspitzen. Weiter geht es auf dem Abstieg und vorbei an einem Campingplatz mit vielen Holzhäuschen zum Ufer des Lac de Chambon. Ein schöner, kleiner See, doch meine Vorfreude auf einen entspannten Badetag wird mir genommen: Der kleine Kiesstrand ist direkt dem Campingplatz und dortigen Spielplatz vorgelagert und wenig einladend. Schade. Zuerst wollte ich die Wanderung mit einer Umrundung des Sees verlängern, entscheide mich jedoch nach ein paar hundert Metern dagegen, zu viele Menschen und Fahrräder gemeinsam auf so etwas wie der Uferpromenade, die eigentlich nur ein Bürgersteig ist. Zu trubelig und zu viel Campingplatz-Publikum allgemein, das passt nicht für mich.

Ich schlage den Weg über steile Treppen zum „Dent de Marais“ ein und bin nach rund fünf Minuten Gehzeit mit mir alleine, ist das wohltuend! Zunächst geht es über eine schmale landwirtschaftliche Straße an Wiesen mit zotteligen Limousin Rindern vorbei, die mich freundlich und gleichmütig grasend anschauen. Das Sträßchen mündet in einen steil ansteigenden, ausgefahrenen und steinigen Waldweg, um nach rund 1,5 Kilometern auf dem „Dent du Marais“, einer Art Aussichtsberg, anzukommen. Aber warum war der Weg nahezu ein Holweg und mit zwei ausgefahrenen Spuren und einem steinigen, trockenen Buckel in der Mitte gezeichnet? Das wird mir schlagartig klar, als ich arglos am Wegesrand stehe und den Wanderführer studiere: Zuerst höre ich einen atemberaubendem Lärm von Motoren, dann Gejohle und dann kommen rund acht offene Jeeps in atemberaubendem Tempo den Hügel hochgeflogen und  in einer stinkenden Staubwolke neben mir zum Stehen. Ich schnappe nach Luft, will etwas sagen oder schreien, doch mir fehlen die Worte. Nachdem sich die rohen Gesellen am Wegesrand und ihre weiblichen Begleitungen hinter den Büschen erleichtert und alle mal kurz die Aussicht bestaunt haben, verschwindet der Spuk zum Glück wieder.

Picknick und Gartenidylle
Ich beschließe, wieder auf die große Wiese, den Aussichtspunkt mit Blick auf den Lac Chambon, zurück zu kehren und zu picknicken. Auf der Wiese sitze ich friedlich zwischen Blumen und genieße Speis und Trank, auch wenn es „nur“ ein Camembertbrot, Obst und Wasser ist. Der Abstieg zum Château de Murol gerät etwas holprig, da ich trotz Wanderführer und Karte den Weg verliere. Doch schließlich ist der Weg für mich das Ziel und wenn ich eines habe auf dieser Reise, dann ist es Zeit. Und wenn ich eines will dann ist es, in der Natur zu sein. Das ist auch der Grund, warum ich mir die Besichtigung des Châteaus spare. Schon zum Aufstieg muss ich mich angesichts der Massen an Familien mit kleinen Kindern zwingen. In der Schlange vor der Kassenhäuschen besinne ich mich eines Besseren: Warum zwingen? Und deshalb trete ich befreit den Abstieg Richtung Murol an, nachdem ich neben dem Château ruhig und friedlich auf einem Stein sitzend die Aussicht auf das Örtchen gratis genossen habe.

Auf Entspannung eingestellt, würde ich jetzt gern auf einem der Liegestühle im Garten eine Weißweinschorle trinken. Und siehe da: Offensichtlich habe ich heute einen Wunsch frei. Denn der Garten ist nur von einem männlicher Mitbewohner, der mit dem Smartphone auf einer Liege chillt, und seiner friedlich spielenden Tochter bevölkert. Wir tauschen ein freundliches „Bonjour“ und das war dann auch schon die ganze Konversation. Ich lasse mich mit der Schorle in der Hand ebenfalls auf einer Liege nieder und das Idyll auf mich einwirken: Ein Steinhaus in der Nachmittagssonne, ein großer Garten mit bunten Liegestühlen, einer Wäschespinne mit bunten Bettlaken, einem rothaarigen Mädchen auf einem rosa Plastikschaukelpferd, einem schwarzhaarigen Mann mit Sonnenbrille und Smartphone auf einer Liege, einer Schaukel, einer Spielzeugtruhe mit mindestens einem riesigen Plüschteddybär als Inhalt und einer Gartenhütte. Schön, das ist seltsam, fühlt sich aber wie Urlaub ganz weit weg an. Bald wird es kühl und ich beschließe, nach einer erfrischenden Dusche nach Saint-Nectaire zu fahren.

Charmante Kirche, leckeres Essen
Von Murol geht es über Saint-Nectaire le Bas nach Saint-Nectaire le Haut über ein schmales Sträßchen vorbei an bummelnden Touristen, den Resten des Marktes und Shops auf einen kleinen Parkplatz und zu Fuß wenige Meter weiter zur wunderschönen, romanischen Kirche. Ich gehe hinein. Sofort nimmt mich die Kirche mit ihrem einfachen Charme gefangen: klare Linien der Steinbögen, wenige bunte Fenster, Messingkandelaber in den zwei kleinen Seitenschiffen und eine kleine Muttergottes-Statue aus dem 12. Jahrhundert. Genauso muss eine Kirche für mich sein: stiller Friede und einfache Schönheit, dann kommt die Einkehr auch ganz ohne Glaube von allein. Ein friedlicher Ort, offen für jeden, das ist für mich Christentum jenseits von Katholizismus oder evangelischer Religion. Glaube bedeutet Frieden und Ruhe und im Einklang mit sich und der Welt zu sein.

Wie auch immer, ich empfinde so etwas Profanes wie Hunger und Durst, deshalb schaue ich mich nach einem Restaurant um. Da ich auf Anhieb nichts Geeignetes finde, fahre ich nach Murol zurück. Dort hatte ich mir schon ein Lokal ausgeguckt, das ich ausprobieren will. Das tue ich und setze mich zu diesem Zweck auf die dortige Terrasse. Ich bestelle als erstes ein bière à la pression, aber bitte grande, und einen Aschenbecher. Yes, man darf in Frankreich rauchen wo man geht und steht. Das nenne ich ein freies Land, gelle USA! Danach ein Fondue Saint-Nectaire mit Jambon Cru, Pellkartoffeln und Salat. Ein sehr leckeres, einfaches Essen und eine schöne Atmosphäre. Gesättigt trete ich den Rückweg zum Auto und die Heimfahrt an.

Tanz auf den Vulkanen

(Rother Wanderführer „Auvergne“, geplant 3:45 Std. und 10,7 km)

Nach einem Frühstück, bestehend aus Müsli, Kaffee und Orangensaft, mache ich mich auf den Weg in Richtung Maison du Parc des Volcans als Ausgangspunkt für meine Wanderung über die Châine des Puys, die Vulkankette. Nach einem Waldstück und vorbei an Schautafeln geht es bald los mit dem sehr steilen Anstieg auf den Puy de Lassolas: Unter gleissender Sonne arbeite ich mich über orange-rotes Geröll und Kieselsteinchen den Vulkanrücken hoch, wobei ich mehrmals Pause machen und nach Luft schnappen muss. Der Puy de Lassolas und der folgende Puy de la Vache sind keine Vulkane im klassischen Sinne, denn sie haben keine Krater. Und so ähneln sie eher einem langgezogenen Berg, der teilnahmslos wie ein Urzeittier in der Sonne liegt und auf seinem kahlen Rücken Menschen herumkrabbeln lässt. So komme ich mir vor wie eine Ameise, die Schwerstarbeit in der Sonne verrichtet. Aber auf dem Bergrücken, der mit seinem losen Gestein eher an eine riesen Düne erinnert, werde ich mit einer tollen Aussicht auf die Châine des Puys und das entferntere Massif du Sancy belohnt. Hier ist viel los, sogar auch wieder Familien mit Kleinkindern im Schlepptau, und ich habe wenig Ruhe.

Weiter geht es zum Puy de la Vache (wie eine Kuh sieht er nicht gerade aus) steil bergan durch ein lichtes Wäldchen über hohe Holzstufen, mit denen der Waldweg befestigt wurde. Oben angekommen, sieht es ähnlich aus wie auf dem zuvor bestiegenen Berg, nur die Perspektive und somit auch das Panorama hat sich geändert. Ich fotografiere ein nettes, junges Paar, sie revanchieren sich. Leider ist die Kommunikation mit anderen Menschen hier rar gesät bis nicht vorhanden, so dass ich mich über jeden Kontakt freue. Als Alleinreisende bin ich hier die absolute Ausnahme und noch dazu als Deutsche wohl eine echte Rarität, die man allenfalls misstrauisch bis mäßig interessiert beäugt, jedoch keinesfalls anspricht. Aber so viel dazu.

Picknick und Irrwege

Der Abstieg folgt, ähnlich wie der Aufstieg, über Holztreppen bis ich die Straße D5 erreiche, die sich mit Parkplätzen versehen durch das Wandergebiet schlängelt. Sie wird mich die nächsten ein bis zwei Stunden genau wie die Straße N89 auf der Suche nach dem Puy de Vichatel begleiten. Als ich mich nach einigem hin- und her für einen Weg entscheide, führt dieser lange durch einen dichten Mischwald. Hier ist es kühl und ruhig und der Waldboden ist wunderbar weich, so dass ich in meiner beinahe-Meditation wohl vergesse, aufmerksam auf versteckte Markierungen zu achten. Ich freue mich auch noch, als ich aus dem Wald auftauche und eine ungenutzte Weide in der Sonne auftaucht – der ideale Picknickpatz. Toll, dass ich völlig ungestört bin und meine kleine Mahlzeit in aller Ruhe genießen kann. Danach wechsele ich sogar für eine kurze Zeit in den Schatten und lege mich auf die Mini-Isomatte aus meinem Rucksack, den ich als Kissen nutze. Zufrieden schaue ich in den strahlend blauen Himmel. Das fühlt sich nach Freiheit an, das ist Glück.

Doch schnell stellt sich heraus, dass ich ganz und gar nicht an der Stelle bin, wo ich zu sein meinte, also wohl im langen Waldstück den Weg verloren habe. Ich überlege, ob das wirklich so ist und ich also umkehren oder mich für einen alternativen Weg, allerdings mit unsicherem Ausgang, entscheiden sollte. Innerlich murrend entscheide ich mich für die sichere Variante, die Umkehr. Schon nach kurzer Zeit finde ich den verpassten Abzweig. Doch wider Erwarten gestaltet sich der weitere Weg auch etwas schwierig, so dass ich den dritten Vulkan nicht besteige, sondern ihn über vorherige Irrwege schließlich im Tal passiere. Das letzte Wegstück verläuft ruhig und sonnig an Weiden vorbei, bis ich gegen fünf Uhr nachmittags geschafft den Ausgangspunkt erreiche.

Zur Belohnung ist abends Pizza essen in Murol angesagt. Ich finde ein schönes Plätzchen auf der Terrasse eines Lokals im Ortskern. Über den ersten, sehr freundlichen und engagierten Service auf meiner Reise freue ich mich sehr. Und noch mehr über die leckere, krosse Steinofenpizza mit dünnem Boden. Auch gibt es weniger laute Familien, sondern mehr Paare. Richtig nett und kommunikativ ist das Paar am Nebentisch, sie sprechen ein bisschen Englisch. Ein Glücksabend: gutes Essen und Freundlichkeit.

Ein Maar und ein Mythos

   Heute soll mein Fun- und Chilltag sein, deshalb stecke ich gegen acht die Stöpsel in die Ohren und mache die Augen ganz fest zu. Doch der Erfolg bleibt aus und so stehe ich gegen neun nach einer kleinen Runde dösen auf. Es gibt Buttertoast, Joghurt, Kaffee und Orangensaft zum Frühstück. Nach längerem Nachdenken – es gäbe so viel zu sehen und zu erwandern – beschließe  ich, zum Örtchen mit dem schönen Namen Besse-et-Saint-Anastaise und dem nahe gelegenen Lac Pavin zu fahren. Dieser auf 1197 Metern gelegene Kratersee zeichnet sich durch viele Superlative aus: Der Tiefste mit 92 Metern und überhaupt der Schönste in der Auvergne. Und eine mystische Geschichte gibt es zum kreisrunden, von Nadelbäumen umsäumten Maar auch noch: Der Sage zufolge soll im Krater ein Dorf gelegen haben, das Gott wegen des lasterhaften Lebens der Einwohner überschwemmte. Das soll sich vor 6900 Jahren zugetragen haben. Wirft man am Silvesterabend eine Münze in den See, kann man der Legende nach die Kirchenglocken der alten Dorfkirche läuten hören. Ich bin gespannt!

An der Auffahrt zum See ist es ziemlich chaotisch, so dass ich weiter zum oberhalb gelegenen Aussichtspunkt fahre. Als ich aus dem Auto steige, rieche ich sofort: Nadelwald! Den tollen Duft von Nadelbäumen, den man nur bei ausreichend Wärme und Sonnenschein und klarer Luft wahrnimmt. Sofort denke ich an Wanderungen in Kanada und USA, den Geruch nach Sommer und Natur. Ich habe vor, den See zum umrunden und weiß nicht genau, ob das nur unten direkt am See oder auch hier auf der Höhe möglich ist. So schlage ich einen schmalen Weg in den Wald ein, der nach kurzer Zeit absteigt und auf den Rundweg mündet. Auf diesem Weg herrscht eine wahre Völkerwanderung, bestehend aus Familien und Hunden. Wie immer nach Ruhe gierend, suche ich nach einem kurzen Blick vom Aussichtspunkt auf das Maar so schnell wie möglich das Weite.

Auf den Puy de Montal

Auf der gegenüberliegenden Seeseite soll laut Reiseführer der rund dreißigminütige Aufstieg auf den Puy de Montal, einen Aussichtsberg, beginnen. Dort angekommen, steige ich froh bergan in der Hoffnung, den Massen zu entkommen. Der Aufstieg führt zuerst über einen recht breiten Weg gemütlich bergan durch den Mischwald. Nach rund 30 Minuten verengt er sich zu einem steilen Pfad, der mit Wurzeln, losem Geröll und Kies den Aufstieg zu einer schweißtreibenden Herausforderung macht. Aber egal. Ich liebe es, auf Gipfeln anzukommen: Die Anstrengung des Aufstiegs fällt ab wie eine Last, gleichzeitig stellt sich ein Gefühl von gespannter Vorfreude auf die Aussicht und ein großes Gefühl von Freiheit ein. Dieser Gipfel erinnert mich auf den ersten Blick an den Altkönig im Taunus, ein mit Gras bewachsenes Plateau. Auf den zweiten Blick ist es jedoch etwas anders: Man hat keine Rundumsicht, sondern nur den Blick auf Super-Besse – einem aus dem Boden gestampften Skiort – mit dahinter liegenden, im Sommer verwaisten und wenig schön anzuschauenden Hängen. Aber dennoch: Der Berg hat was und viele kleine Grüppchen picknicken hier ruhig und einmütig. Die im Reiseführer angepriesene Aussicht auf den Lac Pavin suche ich jedoch vergeblich. Ich will aber noch nicht aufgeben und laufe deshalb einfach weiter auf dem schmalen Weg, der nach kurzer Zeit wieder in den Wald führt und etwas abfällt.

Nun kommt eine Weggabelung und ich weiß mir keinen Rat wie ich weiterlaufen soll, so dass ich ein Grüppchen älterer Franzosen anspreche. Eine der Frauen versucht, mir auf Englisch den Weg zu erklären. Rührend! Denn ansonsten sprechen fast alle Menschen hier mit mir einfach Französisch nach dem Motto „Friss oder Stirb“, so als ob Europa nur ein Hirngespinst wäre, Englisch ähnlich unbekannt wie Suahli und die globale Vernetzung, na die erst recht. Aber das ist eben „La Grande Nation“ und tatsächlich gleichzeitig Gründungsmitglied der Europäischen Union, paradox. Wie auch immer, ich soll durch eine kleine Talsohle, den gegenüberliegenden Hang auf der anderen Seite in der prallen Sonne aufsteigen und irgendwo würde ich dann den Lac sehen und käme wieder am Ausgangspunkt, dem Aussichtsberg heraus. Das tue ich auch, nur von der Aussicht auf das Maar ist noch immer keine Spur. Was soll’s, die Wanderung war trotzdem schön und ich lasse mich zum Picknicken wie immer auf meiner Mini-Isomatte nieder, diesmal mit der Aussicht auf Super-Besse.

Bauernbrot kaufen und Baden

Am Auto angekommen, wechsele ich in die Sandalen und fahre zu einem Bummel in das hübsche Örtchen Besse-et-Saint-Anastaise. Ich parke den Wagen auf einem Parkplatz an der Durchgangsstraße und mache mich in der Hitze auf den kurzen Weg in das mittelalterliche Städtchen durch das Stadttor. Beim kurzen Bummel erstehe ich ein Bauernbrot (!) und zwei Flaschen lokalen Rotwein als Souvenir. Dann habe ich genug von der sengenden Hitze und dem sehr hübschen, aber auch sehr touristischen Ort.

Ich fahre zurück zur Unterkunft, packe meine Schwimmsachen und mache mich auf den kurzen Weg durch den Wald zum Lac de Chambon, denn ich sehne mich an diesem schönen Sommertag nach einer Abkühlung. Hier herrscht wie erwartet ein Wahnsinnstrubel: Der kleine Kiesstrand ist rappelvoll und um den See lagern auf dem Grünstreifen auch noch Menschen, die anscheinend hoffen, dem größten Gedränge am Strandbad zu entgehen. Ich geselle mich zu ihnen ans Ufer und gehe gleich ins Wasser: Es ist toll! Nicht zu kalt und nicht zu warm, ein wunderbarer Badesee mit Aussicht auf die kleine, bewaldete Insel mittendrin und in der Ferne das Massif du Sancy unter strahlend blauem Himmel. Als ich wieder aus dem Wasser komme, finde ich es aber im Schatten doch zu kühl und ziehe in die Sonne und an den Strand um. Es geht besser als gedacht mit dem Trubel und ich kann mich noch eine knappe Stunde in der Sonne trocknen und entspannen.

Heute fahre ich zum Abendessen ins Restaurant „Les Baladins“ in Saint-Nectaire, das in der Infomappe meiner Vermieter empfohlen ist. Ich werde nicht enttäuscht: Auf der sehr schönen Holzterrasse speise ich Tagliatelle mit geräucherter Forelle, einen grünen Salat und trinke dazu ein Viertel Sauvignon Blanc, der Service ist freundlich und aufmerksam. Alles in allem ein gelungener Tag, wenn auch etwas anstrengender als geplant.

Die Königstour: Große Kammwanderung

(Rother Wanderführer „Auvergne“: Le Mont-Dore – Grande Cascade – Puy de l’Angle und weitere Gipfel – zwei weitere Cascades und zurück nach Le Mont-Dore, geplant 5:45 Std. und 16,5 km)

Voller Vorfreude auf die Wanderung mit tollen Ausblicken starte ich Richtung Le Mont-Dore, einem kleinen Kurort mit vielen Restaurants, Geschäften und schönem Flair. Als ich verstanden habe, wo der Ausgangspunkt der Wanderung sein soll und mich durch den dichten Verkehr gequetscht habe, finde ich einen Parkplatz am Straßenrand am Ortsausgang.

Unter Europäern

Nachdem ich nach einiger Sucherei den Einstieg zum Wanderweg gefunden habe, laufe ich mit vielen anderen zunächst über Stufen und dann über einen Waldweg relativ steil bergan rund 45 Minuten bis zum Wasserfall „Grande Cascade“. Ein schöner Ort, wenn auch sehr überlaufen. Auch hier tummeln sich viel junge Familien, die ihre Kleinkinder teils in Tragetaschen auf dem Rücken schleppen. Mit einem netten, jungen Paar mit zwei Kindern komme ich ins Gespräch: Die Frau ist Französin und kann perfekt Englisch und etwas Deutsch, denn sie hat einige Jahre in Deutschland gelebt. Der Mann kann zumindest gut Englisch und ist Spanier. Sehr sympathische Menschen und die Unterhaltung ist nach den wenigen Kontakten der letzten Tage sehr willkommen. Endlich fühle ich mich mal wieder in Europa und wohl mit diesen offenen und gebildeten Menschen, denen das Herkunftsland des Gesprächspartners genau wie der Familienstand schnurzegal sind.

Auf dem Weg zum Anstieg auf den Puy d’Angle laufe ich den Beiden noch mehrmals über den Weg. Sie wollen den Puy de Sancy besteigen. Ich bin auf dem Weg zur großen Kammwanderung im östlichen Massif du Sancy. Und wir versuchen alle, uns auf dem schlecht beschilderten Weg zurecht zu finden. Nachdem wir nach dem letzten Zusammentreffen endlich alle auf dem richtigen Weg gelandet sind, lege ich meine erste Pause im weiten Grasland mit Blick auf den Puy d’Angle ein, den ersten der begrünten Berge, die ich erklimmen werde.

Auf dem Kamm, über die Gipfel

Von unten sieht der Weg noch ganz malerisch und harmlos aus: Ein schmaler Pfad, der sich zwischen eingezäunten Weiden über den grünen Hügel bergan schlängelt. Auf den kurz geschorenen Wiesen verteilt liegen Strohballen. Doch der Anstieg ist eine echte Herausforderung: Der immer steiler werdende Weg zieht sich ohne Schatten zäh dahin. Endlich sehe ich das gusseiserne, etwas schiefe Gipfelkreuz. Dort angekommen, kann ich mir dort den Wind um den Kopf wehen lassen – komplett alleine – und ein paar Selfies machen. Freiheit, Einsamkeit und Natur pur! Ich stehe auf 1.738 Metern Höhe, dem höchsten Gipfel der Wanderung. Immerhin habe ich bis jetzt knapp 740 Höhenmeter erstiegen.

Weiter geht es über zwei kurze Auf- und Abstiege zu den Gipfeln des Puy de Barbier und Puy de Monne. Die Wege sind schmal und schlängeln sich an den Graten der grasbewachsenen Berge entlang. So stelle ich mir Wandern in Schottland vor. Fast ständig habe
ich tolle Blicke auf den Puy de Dôme mit der Chaîne
des Puys und die umliegenden Täler mit Seen und Wäldern.

Vor dem Anstieg auf den letzten letzten Gipfel, den Puy de la Tache, laufe ich im Tal mitten durch eine große Schafherde. Die Tiere sind nicht scheu und grasen friedlich, einige schlafen. Ein tolles Erlebnis.

Auf dem Puy de la Tache haben sich viele Wanderer angesammelt, die im Gras liegend die Aussicht genießen, picknicken oder Fotos schießen. Ich lege mich auch kurz hin, doch es ist mir zu heiß und so stehe ich recht bald wieder auf. Von nun an geht es über die Kehren eines schmalen, steinigen Weges nur noch bergab Richtung Col de la Croix Morand, einer Passhöhe mit riesigem Parkplatz und einem kleinen Lokal. Mir kommen überraschend viele Menschen entgegen, die sich in der nachmittäglichen Hitze bergauf quälen und anscheinend noch die Aussicht auf dem Puy de la Tache genießen wollen. Ich traue kaum meinen Augen, als mir eine Frau mit ihrem langgezogenen, krummbeinigen Basset Hund entgegen kommt. Man kann nur hoffen, dass beide den Aufstieg ohne Kollaps überstehen oder rechtzeitig wieder umkehren. Aber die Franzosen scheinen recht schmerzfrei zu sein, was das Wandern mit kleinen Hunden angeht.

Wasserfälle und Menschenmassen

Auf dem Pass angekommen, entscheide ich mich wegen der Menschenmassen zum weiteren Abstieg. Er führt mich über Wiesen durch einen kleinen Wald an einem Bachlauf entlang. Nach einem kurzen, asphaltierten Stück und dem Überqueren der Bundesstraße komme ich erneut in einen Wald. Hier gehe ich über zwei Abstecher zu zwei Wasserfällen. Die Atmosphäre am zweiten Fall könnte zauberhaft sein, doch wie so oft hier verderben Menschenmengen das Idyll. Der Wald gibt den Blick frei auf eine steil abstürzende, schmale Wasserkaskade, die sich am Boden in ein rundes Becken entlädt – der perfekte Pool nach einer anstrengenden Wanderung. Und danach auf den umliegenden Felsen entspannen und trocknen lassen oder sich einfach auf den Waldboden legen! Ich schaue nur kurz, tagträume ein bisschen und nehme dann das letzte Teilstück der Tour in Angriff: Eine asphaltierte Straße bis zum Ortsrand von Le Mont-Dore und über einige Irrwege endlich die Durchgangsstraße entlang zurück zum Auto, wo ich erst gegen halbsieben abends ankomme.

Nach einer erfrischenden Dusche esse ich auf der Terrasse des Restaurants in Murol vom ersten Abend einen Salat mit Ziegenkäse, der nach langer Wartezeit umso besser schmeckt.

Tour über die Dörfer

Heute steckt mir die gestrige, anstrengende Tour in den Knochen und ich entscheide mich für einen Tag ohne viel Beinarbeit. Ich steuere Usson an, das laut Reiseführer eines der schönsten Dörfer in der Auvergne sein soll. Nach 20 Kilometern über teils abenteuerliche Straßen, die in Deutschland nur landwirtschaftlich nutzbar wären und auf denen man vor Ort 90 (!) fahren darf wenn auch oft nur theoretisch, parke ich den Wagen unterhalb des Dorfes auf einem großen Parkplatz.

Usson: Pittoresk und überlaufen
   Viele Familien mit den unvermeidlichen Kleinkindern quellen aus ihren SUVs, klar, sie wollen eines der schönsten Dörfer sehen. Ich gehe im Konvoi steil die einzige Dorfstraße bergauf und statte als erstes dem kleinen Office du Tourisme einen Besuch ab. Hier erhalte ich einen Flyer mit ein paar kurzen Anekdoten, ein Rundweg mit allen Highlights wie zum Beispiel einer mittelalterliche Schmiede ist auch beschrieben. Unter der knallenden Sonne steige ich über steile Treppen auf eine Art kleinen Aussichtsberg, auf dem eine sieben Meter hohe Marienstatue über der Stadt thront. Ich gönne mir zu ihren Füßen auf einer schattigen Steinbank eine kurze Auszeit, einige Schlucke Wasser und genieße die Aussicht auf den Puy de Dôme, das Massif du Sancy und den Livradois-Forez.

Nach dem Anstieg starte ich zum äußeren Rundweg um die Stadtmauer. Auf dem schönen, schmalen Grasweg bin ich ganz alleine unterwegs. Zufrieden lasse ich mich zum Picknick auf einem Stein mit Blick auf Felder und sanfte Hügel nieder und genieße die Ruhe. Das fühlt sich wie Urlaub an. Wieder im Örtchen hätte ich gern die schöne, kleine romanische Kirche auch von innen angeschaut. Doch in Frankreichs Dörfern haben sogar die Kirchen Mittagspause, genau wie die Geschäfte und sogar der Intersport in Issoire.

Champeix: Ruhig und ursprünglich
Was soll’s, ich mache mich auf den Weg zurück zum Parkplatz und fahre als nächstes nach Champeix, das laut Reiseführer ein reizvolles Örtchen mit Château sein soll. Ich parke wieder auf einem großen Parkplatz im Tal. Zuerst schaue ich mich etwas um, da mir nicht ganz klar ist, in welche Richtung ich am besten laufe und wie ich zum Château komme. Der Ort ist sehr ursprünglich und gar nicht touristisch, wohl weil er nirgends als einer der schönsten Orte genannt wird. Sollte er aber, wie ich schnell feststelle oder auch nicht, damit er so bleibt, wie er ist und die Menschen dort und Touristen wie ich einen ruhigen, charmanten Platz zum Leben und Bestaunen haben. Zu Fuß entdecke ich schnell die Straße zur Burg und hole den Wagen, um die Höhenmeter heute nicht per Pedes in der Sonne erklimmen zu müssen. Ich fahre durch schmale Altstadtstraßen und parke auf einem Plätzchen mit alten, steinernen Wohnhäusern, von dem der Weg zur Burg ausgeschildert ist.

Von einer schmalen Gasse betrete ich die Burganlage durch ein unauffälliges Steintor und bin sofort überwältigt von dem ruhigen, friedlichen Eindruck, der sich mir ganz alleine an diesem sonnigen, frühherbstlichen Nachmittag bietet: Ein mit Gras bewachsener Weg führt zwischen halb verfallenen Steinmauern in das Innerste der kleinen Anlage mit dem Glockenturm und einem Vorplatz, der als begrünte Terrasse mit Holzbänken, einem tollen Rundumblick und einem Baum in der Mitte angelegt ist. In einem Trakt werden wechselnde Ausstellungen gezeigt, allesamt gratis, sehr unüblich hier.  Aktuell sind Fotos des Fotografen Pj Mac Coy, meist Landschaftsmotive rund um die halbe Welt wie New York, Kanada, Spanien und natürlich auch aus der Auvergne, ausgestellt. Pj Mac Coy ist persönlich vor Ort und antwortet freundlich auf meine Fragen. Ich bin begeistert von den Kunstwerken und der Atmosphäre der Ausstellung im alten Steinhaus mit knarrenden Dielenböden. Guter Dinge steige ich wieder ins Auto und fahre zurück nach Murol mit dem Plan, nochmal im Lac zu schwimmen.

Magischer See, leckeres Diner
Heute habe ich schon wieder genug geschwitzt und schließlich muss ich auch noch etwas Ruhe an meinem geplanten „Ruhetag“ haben: Also fahre ich wieder zum See. Am Strandbad ist heute nicht so viel los wie beim letzten Mal und ich mache mich schnell auf den Weg ins Wasser. Die Abkühlung zischt geradezu und das Wasser ist sehr angenehm, frisch und weich und weder zu warm noch zu kalt. Es ist toll, mit Blick auf das Massif du Sancy im kühlen Wasser zu schwimmen. Danach chille ich noch etwas auf meinem Handtuch und lese ein paar Seiten.

Abends fahre ich nochmal zum Restaurant „Les Baladins“ nach Saint Nectaire. Dort bekomme ich einen schönen Zweiertisch auf der Terrasse, der Service ist wieder sehr nett und schnell und ich esse eine extrem gute Tartine de Saint Nectaire, eine große Blätterteigpastete gefüllt mit Käse und frischen Tomaten, die mit einer übergroßen Portion Jambon Cru kommt, Baguette, Salatgarnitur und ein Viertel Sauvignon Blanc. Das tut gut. Ich fürchte nur, zuhause kann ich keinen Käse und rohen Schinken mehr sehen, obwohl ich beides eigentlich liebe. Alles in allem ein gelungener Tag.

Auf dem einzigen Vulkan mit Krater

Um 8:15 Uhr klingelt der Wecker, ich bin müde. Keine Lust, aufzustehen. Warum stelle ich mir eigentlich im Urlaub den Wecker? Ich kann einfach nicht in den Tag leben und nichts tun, noch nicht mal im Urlaub. Diese Unart verfluche ich jetzt. Aber dann denke ich mir natürlich, wenn ich schon mal hier bin unternehme ich auch etwas und zwar am besten das, was ich mir gestern vorgenommen habe. Dann sollte ich schon die Highlights der Region wie die Chaine des Puys hoch und runter kennenlernen. Sonst hätte ich die 840 Kilometer hierher erst gar nicht fahren müssen. Und gleich ins Allgäu oder sonst wo in ein deutschen Mittelgebirge oder die Alpen (ja, die tollen Alpen!) fahren können. Wahrscheinlich wird das überhaupt die Erkenntnis meiner Reise sein … ist zwar platt, aber in meinem Fall wirklich wahr: Warum in die Ferne schweifen wenn man Odenwald, Bergstraße und Spessart vor der Tür hat und auch das tolle Allgäu nebst Kleinwalsertal nur knapp vier Autostunden entfernt liegen?

Heute habe ich beschlossen, dass weite Reisen um nur mal kurz auszuspannen und Abgeschiedenheit zu erleben für mich die absolut falsche Lösung sind. Und Frankreich überhaupt. Dieses Land und seine Bewohner ist und bleibt fremd und eine Region wie die Auvergne, wo sich kaum deutsche Touristen und erst recht keine alleine reisende Frauen hin verirren, ganz besonders. Ich kann nur immer wiederholen, dass dieses Land zu den Gründungsmitgliedern der EU zählt und sich seine Einwohner dennoch so verhalten, als wären sie komplett separat (vive la Grande Nation).

Der einzige Vulkan mit Krater
So, jetzt zu meinem Tag: Ich starte gegen halbelf mit dem Auto Richtung Chaine des Puys, um den einzigen erloschenen Vulkan mit einem Krater, den Puy Pariou, zu besteigen. Über die Route bin ich mir noch nicht ganz klar und habe verschiedene Optionen. Keinesfalls möchte ich per Zahnradbahn auf den Puy de Dôme fahren (zu viel Rummel) und halte deshalb Ausschau nach einer Shuttlebus-Station, die irgendwo im Internet erwähnt wurde.

Als ich keine finde, entscheide ich mich für Plan B und fahre über das Bergdorf Orcines bei Clermont-Ferrand auf einen Parkplatz an der Bundesstraße, um von dort aus, wie in der Wanderkarte eingezeichnet, den Puy Pariou  zu besteigen. Mittlerweile ist es fast zwölf. Es ist ein großer Parkplatz und wieder quellen diverse Familien mit Kleinkindern im Schlepptau aus den Autos. Ich steige schnell den relativ flach ansteigenden, geschotterten jedoch schmalen Weg durch dichten Laubwald bergan. Es ist schwülwarm, da es vorher etwas geregnet hat und ich schwitze schon jetzt ganz ordentlich. Es scheint das Jahr der Hitze-Wanderungen zu sein – erst in den US-amerikanischen Canyons, jetzt hier. Nach 2,5 Kilometern taucht schon der Krater vor mir auf. Es ist ein tolles Erlebnis, einen Krater von oben zu sehen. Leider wird es dadurch geschmälert, dass am Kraterrand high Life herrscht und viele Familien sogar in den Vulkan hinein bis auf seinen Boden hinabsteigen. Von oben zu schauen und die Natur zu achten ist passender für mich, den Abstieg spare ich mir also.

Bonjour und adieu Puy de Dôme
Nach einem schnellen Picknick am Kraterrand überlege ich mir, wie es weitergehen soll. Den schönsten Blick auf den Vulkan hätte ich von oben. Direkt am Kraterrand kann ich den Berg quasi nur zur Hälfte sehen und auch schlecht fotografieren. Deshalb wollte ich ursprünglich auf einem Rundweg erst den Puy Pariou umlaufen und dann weiter wandern zu einem höher gelegenen Krater. Doch die Runde um den Puy Pariou ist nur zur Hälfte möglich, danach ist der Weg gesperrt. Wenn ich nicht auf demselben Weg zurücklaufen möchte, bleibt mir nur die lange Holztreppe vom Puy Pariou abwärts. Unten angekommen, laufe ich weiter über Grasland und bin plötzlich alleine. Der Puy de Dôme rückt immer größer in den Blick, ein schönes Erlebnis. Ich überlege ernsthaft, ob ich ihn nicht doch noch von dieser Seite aus besteigen soll. An der Kreuzung mit dem Fernwanderweg GR4 und dem Abzweig angekommen, entscheide ich mich jedoch dagegen. Es sind zwar nur 2,5 Kilometer einfach, aber laut Wanderkarte auf der kurzen Strecke 350 Höhenmeter zu überwinden. Und ich bin recht platt und muss auch an den Rückweg denken.

Schweren Herzens entscheide ich mich zur Umkehr und wandere durch Grasland und zurück zum Parkplatz, wo ich gegen drei ankomme. Ich träume immer noch vom Blick auf den Krater des Puy Pariou, den man ja so richtig nur von noch höher oben sehen kann und überlege ein letztes Mal, ob ich nicht doch noch per Zahnradbahn auf den Puy de Dôme fahren soll. Ich entscheide mich jedoch dagegen und entschließe mich, nochmal im tollen Lac de Chambon zu schwimmen, denn schließlich habe ich ja Urlaub und die Hitze macht mich echt fertig.

Gegen fünf bin ich am See und genieße einmal mehr ein tolles Bad, heute ist das Wasser etwas unruhiger. Ich liege fast bis halbsieben am Strand, es ist noch immer angenehm warm. Auf dem Rückweg sehe ich, dass an der Strandbar auch Loungemöbel stehen und sogar Cocktails angeboten werden. Wie schön, dort einen Sundowner zu genießen, doch alleine habe ich heute dazu keine Lust und mache mich auf den kurzen Rückweg zum Auto.

Abenteuer im Massif du Sancy

(Rother Wanderführer „Auvergne“, geplant 3:45 Std. und 12,4 km)

Ich habe gut geschlafen und stehe um neun mäßig motoviert auf. Es gibt Buttertoast, Joghurt und den unvermeidlichen Kaffee und O-Saft zum Frühstück. Es ist eine himmlische Ruhe, die furchtbare Familie gegenüber ist tatsächlich gestern abgereist!

Auf geht’s zum Col de Guéry, einem 1268 Meter hohen Pass. Ich stelle den Wagen auf einem großen Parkplatz ab. Bald stehe ich an einer Weggabelung und weiß trotz Wanderkarte und Wanderführer nicht, welcher Weg der Richtige ist. Vielleicht hätte ich wie schon einmal im Burgund eine Münze werfen sollen. Aber ohne Münzwurf schlage ich die falsche Richtung ein.

Zuerst bin ich froh über den Weg, denn ich wandere ganz alleine zuerst durch einen kleinen Nadelwald, in dem es wundervoll duftet und danach über Weideland. Einige zottelige Salierrinder beäugen mich interessiert, ganz anders als ihre gleichmütigen Artverwandten im Odenwald oder Allgäu. Bald tauche ich wieder in einen Wald ein und mir wird klar, dass ich sprichwörtlich auf dem Holzweg bin. Nach einem weiteren, ausführlichen Studieren der Karte beschließe ich trotzdem nicht umzukehren. Denn ich bin ziemlich sicher, noch auf den gesuchten Rundwanderweg zu stoßen. Das tue ich auch, allerdings muss ich von jetzt ab die Wanderung in die entgegengesetzte Richtung fortsetzen und so den Wanderführer von hinten nach vorne lesen.

Hitze, tolle Ausblicke und steile Aufstiege
Auf der ersten, brutalen Steigung auf einem schmalen Steig zwischen Weideland und Waldrand über Steine und Wurzeln bin ich innerlich am Fluchen: der Reiseführer spricht von keinen großen Herausforderungen auf dieser Wanderung, Witz komm raus. Oben angekommen, lege ich die erste, kurze Pause ein. Schon jetzt bin ich völlig durchgeschwitzt. Weiter geht es über weites Weideland, das von grünen, steilen Hügeln umgeben ist. So stelle ich mir Schottland vor. Lustig, so ein bisschen Schottland in Frankreich. Und momentan hätte ich sogar nichts gegen einen kühlenden Regenschauer. Bald erklimme ich den ersten Hügel und werde mit einem tollen Blick auf das Massif du Sancy und das Tal der Dordogne belohnt.

Nach steilem Abstieg quäle ich mich bald den nächsten der schön anzusehenden, aber verdammt steilen Wege hinauf zum Col de St.-Laurent. Ich bin fertig, weil ich halt trotz dreimal Sport pro Woche keine Ausdauersportlerin bin. Crosstrainer und Gerätefitness trainieren die Ausdauer nur sehr bedingt genau wie Ballett, Yoga und Jazzdance. Deshalb wird es nichts mit dem Abstecher auf den Banne d’Ordanche, der sicher auch keine neuen Ausblicke gebracht hätte. Ich würde mich gerne im Gras der Länge nach ausstrecken und danach mein Picknick genießen, doch leider ist es mir einfach zu heiß und Schatten ist in dieser Landschaft erst mal nicht in Sicht. So beginnt der Rückweg für mich auf einem breiten Schotterweg und ich beende nach einiger Zeit die Runde an der Gabelung, an der ich vor Stunden falsch abgebogen bin.

Auf der Suche nach dem Lac de Guéry
Leider hatte ich noch immer keinen Blick auf den als malerisch beschriebenen Lac de Guéry, einen vulkanischen „Stausee“, der ehemals von einer Lavazunge aufgestaut wurde. Denn gerade dieses Stück der Wanderung ist mir durch den Irrweg am Anfang durch die Lappen gegangen. Ich suche also deshalb jetzt den See oder einen Blick darauf. Der Weg, den ich einschlage, führt steil über Wurzeln durch einen dichten Wald bergab. Da hier viele Leute unterwegs sind, kann ich nicht ganz falsch liegen. Nach einem kleinen Stück Rundweg habe ich dann endlich einen Blick auf das Gewässer gefunden. Ja, er ist ein schöner See, oval und auf der gegenüberliegenden Seite mit Nadelwald gesäumt, wohingegen das andere Ufer an die Bundesstraße D 983 anschließt. Richtige Begeisterung will sich jedoch nicht einstellen, da ich den Eindruck habe, in Bayern und Österreich gibt es insgesamt mindestens hundert Seen, die so aussehen. Man denke nur an wunderschöne Exemplare wie den Chiemsee, Schliersee oder Tegernsee. Bestimmt könnte ich jetzt noch zwei Seiten mit den Namen von schönen, deutschen und österreichischen Seen füllen. Aber egal, er kann ja nichts dafür, dass man ihm nicht ansieht, dass er vulkanischen Ursprungs ist der kleine, süße See. Ich lege mich ein bisschen ans schattige Ufer, bis mich einer der vielen Hunde aufscheucht, die ohne Leine durch die Gegend laufen.

In meiner Unterkunft ist noch immer himmlische Ruhe und ich entspanne auf einer Liege im Garten bei einem Bier. Ich überlege, ob ich heute mal hier zu Abend essen soll – zum ersten Mal. So fahre ich zum SPAR und kaufe zum Abendessen Bulgursalat, ein paar Tomätchen und ein Sandwich für die morgige Fahrt. Ich packe das Gröbste zusammen und lege mich noch für eine halbe Stunde in den Garten zum Lesen. Himmlisch, ich hätte eine Woche später kommen sollen, aber nachher ist man immer schlauer und ich wollte ja so früh wie möglich nochmal weg. Wie gut trotzdem, dass ich wenigsten die letzten beiden Abende Ruhe hatte.