Meine Heimatstadt Darmstadt wird auch „die Stadt im Wald“ genannt: Schaut man von oben auf die Stadt, sieht man fast die Häuser vor lauter Bäumen nicht. Eine reife Leistung, denn Darmstadt ist kein Dorf, obwohl es mancherorts – wie auch in meinem Stadtviertel – den dörflichen Charakter bewahrt hat. Vielmehr tost durch die zahlreichen Hauptstraßen der rund 160.000 Einwohner großen Wissenschaftsstadt von früh bis spät der Verkehr, versperren permanent Baustellen Fußgängern und Radfahrern den Weg und werden Straßen in Wohngegenden als Durchgangsstraßen missbraucht. Kurzum: Die Stadt steht fast vor dem Kollaps, ihr eigenes Wachstum hat sie überrollt. Auch ich wohne an einer Straße, die als Rennstrecke missbraucht wird. Um die vorgeschriebenen 30 km/h kümmert sich kaum jemand, will man doch schneller als auf der Hauptstraße ans Ziel kommen.

Mein Freund, der Baum

Umso mehr freue ich mich jeden Tag über meinen großen, hölzernen Freund im Innenhof: eine wunderschöne, alte Platane. Sie wird wohl ungefähr 20 Meter hoch sein. Ich muss nur auf die Terrasse gehen oder zum Fenster meines Arbeitszimmers hinausschauen, um den Baum zu sehen. Im vierten Stock fühle ich mich ihm ganz nah. Er strahlt Ruhe und Kraft aus und die Hoffnung, dass sich immer wieder alles zum Guten wendet. Nachts höre ich nichts von den Geräuschen der Stadt, sondern nur das Rauschen der Blätter im Wind. Im Frühling und Sommer ist er von unzähligen Vögeln bevölkert, die in den frühen Morgenstunden um die Wette zwitschern. Ein spezielles Konzert, das ich mit Frühling verbinde, seit ich hier wohne. So oft wie möglich laufe ich nicht von der Straße direkt ins Haus, sondern über den Innenhof. So kann ich den Baum aus einer anderen Perspektive betrachten. Wenn ich länger den Kopf in den Nacken lege und am Stamm hinaufschaue, fühle ich mich immer kleiner und auch meine Probleme scheinen zunehmend unwichtig zu werden. Auf wundersame Weise fühle ich mich dann oft erfrischt und kraftvoller als zuvor. Kraft und Zuversicht finde ich essenziell für meine Textarbeit.

Noch mehr Bäume

Ich liebe Bäume und in Darmstadts Parkanlagen finde ich jede Menge wunderschöne, alte Exemplare. Rund fünf Minuten brauche ich zu Fuß in einen der schönsten Parks Darmstadts, den Prinz-Emil-Garten. Wenn ich mal wieder einen freien Kopf brauche, drehe ich dort eine kurze Runde und schon geht’s mir besser. Der Park wurde im 18. Jahrhundert im Stil eines englischen Gartens für adelige Herrschaften angelegt. Hier schlendere ich um den kleinen Seerosenteich, hinauf bis zum Schlösschen und quer über Wiesen unter großen Bäumen entlang. Nur wenige Meter daneben tost der Lärm auf einer der Hauptverkehrsadern. Doch der Park ist eine Oase, die Ruhe, Kraft und Sauerstoff spendet. Wenn ich will, bin ich nach weiteren 10 Minuten schon im nächsten Park, der ebenso außergewöhnlich ist: Der Orangeriepark ist eine barocke Anlage aus dem 18. Jahrhundert mit breiten Wegen, Springbrunnen, Baumalleen, mediterranen Pflanzen und natürlich dem Orangerie-Gebäude. An einem schönen Frühlings- oder Sommertag, wenn nur wenige Spaziergänger und Jogger den Park bevölkern, fühle ich mich hier schnell ganz weit weg von allem Alltäglichen und fast wie im Kurzurlaub. Wie oft habe ich hier schon Frischluft und Sonne getankt, meine Gedanken sortiert und neue Ideen bekommen. Ein Park ist eine wunderbare Sache, fast wie ein Mikrokosmos: Hereinspaziert und wie durch Zauberei ist man in einer anderen, schöneren Welt.

 Der Wald

Und das Beste kommt zum Schluss: Die tollen, großen Wälder rund um Darmstadt. Ja, Darmstadt ist die Stadt im Wald. Von fast keinem Punkt in der Stadt ist man nicht in kürzester Zeit im Grünen. Ich selbst laufe rund 20 Minuten bis zum Waldrand. Wenn ich nur kurz Zeit habe, steige ich etwa zur Ludwigshöhe, Darmstadts Hausberg, hinauf. Von dort oben hat man eine wunderbare Aussicht auf die Stadt und sieht einmal mehr, wie sehr sie im Grünen liegt. Meist kann man auch bis Frankfurt schauen, wo sich die Gebäude der Skyline klein wie Spielzeughäuschen aufreihen. Über mir die mächtigen Bäume und in der Ferne die Mini-Skyline: Eine beruhigende Perspektive. Und wenn ich noch tiefer eintauche in Darmstadts Wälder, kehrt immer mehr Ruhe und Frieden in mir ein. Der Wald ist ein unvergleichlicher Ort, den ich nie missen möchte. Weder als Ort der Entspannung für mich privat noch als Energiequelle für meine Arbeit.