Heute ist es mir ein Bedürfnis, meine erste Rezension zu schreiben. Denn ich habe seit langem ein Buch gelesen, das mich wirklich begeistert und beeindruckt hat: „Ich bin gleich da“ von Anne Köhler. Hierbei handelt es sich um einen klassischen Entwicklungsroman, in dessen Handlung dezent eine Liebesgeschichte eingeflochten ist.

Zunächst zum Inhalt:

Elsa, die Protagonistin des Romans, verliert als junge Frau ihren Vater, der an einem Herzinfarkt verstirbt. An seinem Tod gibt sie sich die Schuld, da sie zu einer fest vereinbarten Zeit nicht zur Stelle war. Die Mutter versinkt in Trauer und Elsa sowie ihr Bruder, zudem sie keinen Draht hat, können ihr nicht helfen. Aus dieser ausweglosen Situation entflieht Elsa, indem sie ihrer großen Leidenschaft und ihrem Beruf, dem Kochen, nachgeht. Zunächst arbeitet sie jeden Tag bis zur totalen Erschöpfung in einem Ausflugslokal, das ausschließlich Convenience-Produkte verarbeitet und vom Verkauf von XXL-Schnitzeln lebt – Produkte, die Elsa anekeln genau wie der Chef der Gaststätte. Schon jetzt besteht ihr Ziel darin, immer weiter nach Norden zu ziehen und so ihrem Zuhause mit der ungeliebten, depressiven Mutter mehr und mehr den Rücken zu kehren.

Der zweite Teil des Buchs beginnt damit, dass Elsa mit dem Zug in Hamburg ankommt, wo sie ab sofort leben und arbeiten will. Sie hat also das Meer erreicht und so wird es von jetzt an keinen nördlicheren Ort geben, an den sie fliehen kann. Schon in der ersten Nacht, die sie wach auf den Landungsbrücken auf einem Polder verbringt, lernt sie Jan kennen. Den Mann, in den sie sich verlieben wird. Sehr schnell findet sie eine Anstellung als Köchin in einem Sternelokal und geht ab sofort voll in ihrem Beruf auf sowie in der Freundschaft mit Jan, der sie im Gästezimmer bei sich wohnen lässt. Doch ihre Vergangenheit verarbeitet sie nicht und meldet sich kein einziges Mal bei ihrer Mutter. Neun Jahre ist sie nun von Zuhause fort.

Im dritten Teil erfährt Elsa von ihrem Bruder, dass ihre Mutter im Koma liegt. Widerwillig fährt sie nachhause und besucht ihre Mutter im Krankenhaus. Jan, mit dem sie eine enge, platonische Freundschaft verbindet, begleitet sie bei ihrer Mission. Ebenso widerwillig betritt Elsa ihr Elternhaus und trifft dort auf ihren Bruder. Sie schafft es zwar auch jetzt nicht, eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Doch bietet sie an, von nun an so oft wie möglich nachhause zu kommen und findet so eine Übereinkunft, mit der sie leben kann. Jetzt muss sie nicht mehr weglaufen und kann Hamburg als ihr neues Zuhause annehmen. Hier kann sie endlich ihr Können und ihre Kreativität als Köchin zeigen und ihre berufliche Leidenschaft ausleben. Jan allerdings ist schon vorzeitig dorthin zurückgefahren, da es seiner Freundin offenbar nicht recht ist, dass er Elsa begleitet. Als Elsa am Bahnhof in Hamburg ankommt, holt Jan sie überraschend ab und sie fahren zu den Landungsbrücken, wo sie sich kennengelernt haben. Dort nimmt er ihre Hand.

Und jetzt zur Rezension:

Anne Köhler ist eine Schriftstellerin, die aus meiner Sicht ihr Handwerk perfekt beherrscht. Mich jedenfalls hat der Roman keine Minute lang losgelassen, so dass ich ihn noch spätabends unbedingt fertiglesen musste. Anne Köhler kann mit Sprache spielen sowie anschaulich und berührend schreiben, ohne jemals kitschig zu werden. Sie beherrscht die Zwischentöne und hat es deshalb nicht nötig, der Leserin oder dem Leser die eigene Fantasie mit plakativen Beschreibungen zu rauben. Vieles bleibt in der Schwebe, wie etwa die Beziehung zu Jan oder die Begegnung mit ihrer Mutter, die durch das Liegen im Koma bis zum Ende des Romans aussteht. Das ist realistisch und regt die Vorstellungskraft des Lesers zusätzlich an. Im gut konstruierten Plot kann sich die Protagonistin Elsa in ihrem Tempo weiterentwickeln bis zu dem Wendepunkt, an dem sie erkennt, dass sie ihr neues Leben nicht annehmen und genießen kann, bevor sie zu ihrer Familie zurückgekehrt ist und eine wie auch immer geartete Übereinkunft und im besten Fall Aussöhnung gefunden hat. Die Aufteilung in drei Teile gibt dem Buch eine übersichtliche, zu der Geschichte von Elsa passende Struktur.

Dennoch hat der Roman aus meiner Sicht einige Schwachstellen (wie natürlich kein Buch perfekt ist). Das größte Defizit liegt darin, dass die Protagonistin Elsa insgesamt zu flach bleibt. Dies ist jedoch der auktorialen Erzählperspektive geschuldet, bei der die Erzählerin von außen auf alle Charaktere des Romans schaut. Eventuell hätte die personale Erzählperspektive der interessanten Protagonistin Elsa mehr entsprochen. Während sich die Erzählerin sehr viel Zeit mit der Vorgeschichte im ersten Teil lässt, wirkt der Anfang des zweiten Teils sehr gedrängt und wenig realistisch: Die Protagonistin trifft in der ersten Nacht in Hamburg den Mann ihrer Träume an den Landungsbrücken, darf auch noch bei ihm wohnen und findet innerhalb weniger Tage eine Stelle in einem Sternelokal. Den dritten Teil finde ich insgesamt am schwächsten, vielleicht weil der Wendepunkt bereits überschritten und die Heimkehr nicht viel mehr als ein Mittel zum Zweck ist, das neue Leben in Hamburg annehmen zu können.

Insgesamt ist der Roman „Ich bin gleich da“ von Anne Köhler ein Buch, das ich wärmstens empfehlen kann.