„Geld macht nicht glücklich“ ist eine Weisheit, die in der westlichen Welt nicht jeder unterschreiben würde. In Bhutan dagegen offensichtlich schon. Vor kurzem hörte ich in einer Sendung über den kleinen Himalaya-Staat zum ersten Mal vom Bruttonationalglück. Bhutan ist ein Land, dem das Glück seiner Bürger wichtiger ist als ihr Wohlstand und ihre Wirtschaftsleistung, das Bruttoinlandsprodukt (BIP).

Das muss man sich als westlich orientierter Mensch mitten im totalen Kommerz mal vorstellen. Ich finde das Konzept gleichermaßen faszinierend, liebenswert, weltfremd, irritierend und zugegeben ein bisschen belustigend. In jedem Fall interessant genug um mich zu fragen, was genau es damit auf sich hat und ob wir uns im Westen nicht eine, wenn auch noch so dünne Scheibe vom Glückskonzept abschneiden könnten. Nötig hätten wir es allemal, rangieren doch vor allem die Deutschen als Volk der Schwarzseher in punkto Glück und Zufriedenheit auf den hinteren Plätzen.

Was bedeutet Bruttonationalglück?

Erfunden hat die Idee des Bruttonationalglücks oder auch Bruttoglücksproduktes der ehemalige König von Bhutan, Jigme Singye Wangchuck oder auch als vierter König der Dynastie K 4 genannt. Anlass war wohl das Interview mit einem indischen Journalisten, der nach dem BIP Bhutans fragte. Darauf entgegnete der König: „Das Bruttoinlandsprodukt interessiert mich nicht. Mich interessiert das Bruttoglücksprodukt.“ Ob das Motiv für die Antwort unter anderem im extrem niedrigen BIP des Gebirgsländchens lag, sei dahingestellt. Das ist aber auch angesichts der Größe der Äußerung und Idee ziemlich egal.

Jedenfalls musste das Konzept nun wachsen und gedeihen und das Glück messbar gemacht werden. Als erstes entschied K 4, dass das Nationalglück aus vier Säulen bestehen sollte: Gerechte Wirtschaftsentwicklung, Förderung kultureller Werte, Schutz der Umwelt und gutes Regieren. Ziemliche schwammige Begriffe, die durch konkrete Indikatoren beschrieben werden mussten. Außerdem sollten die vier Säulen stabil und ausgeglichen sein, damit das „Haus“ Bhutan nicht einstürzen konnte.

Deshalb gründete Bhutan als erstes und einziges Land der Welt 2007 ein Ministerium für Glück. Es beauftragte ein Forschungsinstitut mit der Entwicklung von Indikatoren, die in einen Fragebogen zur Messung des Glücksindex umgesetzt wurden. Seitdem ist ein repräsentativer Anteil aller BhutanerInnen bereits dreimal zu ihrem persönlichen Glücksempfinden befragt worden: 2008, 2010 und 2015 wanderten mehrere Teams von Interviewern monatelang über Stock und Stein, um auch mit den Familien im hintersten Gebirgsdorf persönlich den dicken Fragebogen durchzuackern. So ernst nimmt das Königreich das Streben nach Glück, dass es sogar in der Verfassung steht. Immerhin: 2015 waren 43,4 Prozent der Bevölkerung glücklich.

Und unser Stück vom Glück?

Und jetzt zum Westen auf der Suche nach dem Stück vom Glück. Auch wenn es in unserer profitorientierten Gesellschaft naiv und unrealistisch erscheint, auch nur den Hauch dieser Orientierung am Glück in unsere Welt zu übertragen, so bleibt die Vorstellung noch immer schön und faszinierend. Mehr noch, es wird nach meiner Ansicht längerfristig geradezu ein Muss, das Glück einer Gesellschaft mehr in den Vordergrund und ihren wirtschaftlichen Gewinn etwas mehr in den Hintergrund zu stellen. Denn ein Wohlstandsgewinn macht nur bis zu einem gewissen Punkt glücklich, dann flacht die Kurve ab und am Ende können Glücks- und Wohlstandskurve sogar auseinanderdriften. Vielen wird der Effekt als das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens bekannt sein: Ein Glas Wasser erfrischt auch nur, bis der Durst gelöscht ist. In Bhutan mag der Punkt noch lange nicht erreicht sein, da die Bevölkerung sehr arm ist, und es stellt sich natürlich für das Land die Frage, wie lange Glücks- und Wohlstandsgewinn Hand in Hand gehen.

Bei uns ist der Punkt längst überschritten, ergo brauchen wir andere Lösungen, um unsere Gesellschaft glücklicher und zufriedener zu machen. Denn immer mehr unzufriedene Menschen mit den heutigen Zivilisationskrankheiten wie Rückenschmerzen, Burnout oder Depressionen sind nicht nur traurig und stehen für den menschlichen Verfall einer Gesellschaft. Ihnen wird auch die Frische, Kreativität, Begeisterung, Neugierde und Mut für Neues fehlen, die eine gesunde Volkswirtschaft heute so nötig wie nie braucht, um am Weltmarkt zu bestehen. Und am Ende wären Glück und auch die Wirtschaftskraft verloren, der absolute Supergau.

Zumindest sucht die Politik nach Alternativen zur Orientierung am wirtschaftlichen Wohlstand: So legte die Bundestagskommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ 2013 ihren Abschlussbericht vor: Ein fast tausend Seiten starkes Pamphlet, das zumindest neu entwickelte Indikatoren vorstellt – die sogenannten W3-Indikatoren aus den Bereichen Wohlstand, Soziales und Ökologie. Doch ob die Indikatoren jemals das schiere BIP ersetzen und alle dafür nötigen Maßnahmen umgesetzt werden können, bleibt aufgrund von Interessenkonflikten zwischen den einzelnen Parteien, Fraktionen und diversen Lobbies fraglich.

Die Unternehmen müssen ran

Es bleiben die Unternehmen. Denn in einer Gesellschaft, in der fast jeder in Festanstellung arbeitet, haben sie entscheidenden Einfluss auf das persönliche Glück der meisten Menschen. Hier gäbe es vor allem in Großunternehmen viel zu tun, denn sie sind nicht zuletzt aufgrund der Orientierung am Aktienwert stark auf kurzfristigen Profit aus, Nachhaltigkeit bleibt oft ein strapaziertes Schlagwort. Unternehmen müssen sich dringend darüber bewusst werden, dass Dauersparen keine Lösung sein kann und ohne kreative Konzepte und Mut zum Investieren kein Mehrwert entsteht. Ja, das ist vielen klar, doch passieren tut trotzdem: NICHTS. Und dann endlich handeln:

  • Wir brauchen mehr „Spiky Leaders“: Führungskräfte mit Ecken und Kanten, die frischen Wind in die Unternehmen bringen
  • Lasst den Menschen Freiräume, neue Ideen werden sonst im Keim erstickt
  • Habt Mut zu neuen Konzepten und Investitionen, zeigt klassischen Unternehmergeist
  • Drückt den Menschen keine Jobs auf, die nicht zu ihnen passen – nicht jeder taugt zur Führungskraft
  • Orientiert euch nicht am kurzfristigen Profit, Dauersparen führt langfristig zu weniger Wettbewerbsfähigkeit und Verlusten

Jeder ist zwar zuallererst noch immer selbst seines Glückes Schmied und man sollte die Verantwortung dafür nicht abschieben. Es gibt viele Faktoren, die ein glückliches und zufriedenes Leben begünstigen. Dazu zählt jedoch neben einer stabilen Partnerschaft und Gesundheit in westlichen Ländern vor allem ein erfüllender Job. Und genau hier liegt die Krux: Denn leider finden heute die wenigsten Menschen ihren Traumjob und nicht alle können Aufgaben und Arbeitsumfeld nach ihren Wünschen mitgestalten.

Deshalb denke ich, dass den Unternehmen eine besondere Verantwortung zukommt, die sie wahrnehmen sollten. Es könnte sein, dass bei uns der Weg zu mehr Glück weniger in staatlicher Regulierung wie in Bhutan, sondern eher im Verhalten der privaten Wirtschaft zu suchen ist.