In „Die Frau auf der Treppe“ erzählt Bernhard Schlink eine tiefgründige Geschichte über ein ganz besonderes Bild sowie drei Männer und eine Frau. Spätestens seit „Der Vorleser“ zählt Bernhard Schlink zu meinen Lieblingsautoren und mit diesem Buch hat er seine Meisterschaft als Schriftsteller einmal mehr bewiesen.
Als junger Mann übernimmt der Protagonist, der als Rechtsanwalt arbeitet, ein Mandat in einem skurrilen Rechtsstreit um das Bild einer Frau. Die abgebildete Frau, Irene, hatte ihren reichen Ehemann für den Maler verlassen. Der Protagonist vertritt die Rechte des Malers, der das Bild vom Ehemann zurückfordert und zu diesem Zweck mehrfach in der Rechtsanwaltskanzlei mit Irene auftaucht. Dabei verliebt sich auch der Anwalt in Irene. Viele Jahre später besucht er auf einer Geschäftsreise in Sydney eine Galerie und sieht dort das Bild an der Wand hängen, das seine unerfüllte Liebe Irene zeigt. Er ist wie vom Donner gerührt und setzt alles daran, um Irene und damit Antworten auf drängende Fragen zu finden. Diese war damals auf rätselhafte Weise verschwunden, alle drei Männer fühlten sich von ihr betrogen und getäuscht.
In „Die Frau auf der Treppe“ wählt Bernhard Schlink die Ich-Perspektive, die den Leser oder die Leserin tief in das Innenleben des Protagonisten eintauchen lässt und stets hautnah dessen Motive und Emotionen offenbart. Dabei spickt er die Geschichte immer wieder mit Rückblenden in die Vergangenheit der Hauptperson: Von den Großeltern auf nüchterne Art und Weise großgezogen, blieb der erfolgreiche Anwalt für Unternehmenszusammenschlüsse ein Leben lang in Herzensdingen ungeschickt und war seit frühester Jugend darauf programmiert, zu funktionieren. Ich musste gleichzeitig schmunzeln und hatte Mitleid, als in einer Rückblende geschildert wird, dass der Protagonist am Krankenbett seiner Frau sitzen und ihr die Hand halten sollte, aber nicht verstand, was das bringen sollte. Um wenigstens produktiv zu sein, arbeitete er nebenbei. In ruhigen, klaren Sätzen und ohne Längen schildert der Erzähler, wie konsequent der Protagonist das Ziel verfolgt, bei Irene Antworten auf Fragen zu finden, die ihn ein halbes Leben lang beschäftigen. Und das, obwohl das jetzige Ziel weder mit Geld noch Erfolg zu tun hat, sondern eben gerade mit Emotionen. Auf der Suche nach Irene und den drängenden Antworten verblasst sein reales Leben mehr und mehr. Dennoch muss er sich auf seiner Suche auch seinen Entscheidungen und seinem Leben stellen, was letzten Endes eine Art reinigende Wirkung bzw. Katharsis bewirkt. „Die Frau auf der Treppe“ ist ein zugleich hoffnungsvolles und trauriges Buch, das auch eine ungewöhnliche und rührende Liebesgeschichte schildert, ohne jemals rührselig zu werden. Für mich eine klare Leseempfehlung.
Wie immer wunderbar beschrieben, man merkt sofort wie sehr Dir das Buch gefallen hat.